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Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 12 Mär 2023 19:04
von Pico
mr.minolta hat geschrieben: 10 Mär 2023 20:36

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Auge um Auge.... was für ein Schnappschuss!!!

Die Lagune ist fantastisch, kein Wunder dass ihr gleich am nächsten Tag wieder dort seid. Und sogar als Rudelführer... :lol:

Was für eine Reise, ich bin mir sicher täglich kommen kleine Dinge davon zur Sprache. Erinnerungen die euch immer begleiten werden.
Ok, klingt sülzig, aber ich glaube so ist es! :wink:

Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 12 Mär 2023 20:14
von mr.minolta
Pico hat geschrieben: 12 Mär 2023 19:04Auge um Auge.... was für ein Schnappschuss!!!

Erinnerungen die euch immer begleiten werden.
Ok, klingt sülzig, aber ich glaube so ist es! :wink:
Ja, das ist so, Du hast völlig recht. Es vergeht seitdem kein Tag ohne Gedanken an diese Reise. :D

Und der Schnappschuß wäre ohne eine gewisse Konditionierung wohl nicht entstanden. :wink:

Im Ernst: das Problem liegt eher bei den planvoll inszenierten Hai- und Stachelrochenfütterungen, die es überall auf der Welt und auch in diesem Land gibt, bei denen es immer wieder zu teils tödlichen Unfällen kommt und von denen ich mich seit jeher ferngehalten habe. Ein paar Schwarzspitzen in dieser Lagune sind in diesem Kontext nicht wirklich relevant. Hätten wir beispielsweise damals auf Luahoko nicht nur 10 Tage, sondern monatelang unser Geschirr am Wasser abgespült, wären sie auch irgendwann gekommen und nicht mehr gegangen.

Zum Glück zeigen die Tiere überall in der Lagune ihr natürliches Verhalten und sind dabei sogar überwiegend scheu. Einmal am Nachmittag versammeln sie sich dann an der Picknickstelle, um ein paar Brocken abzugreifen.

Ich sehe wirklich kein Problem darin.

Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 12 Mär 2023 20:20
von mr.minolta
Und jetzt stellt sich heraus, daß unser Veranstalter sich nicht lumpen läßt, wenn es darum geht, Gästen wie uns, die zum wiederholten Male dabei sind, eine Abwechslung zu bieten. Heute werden wir also eine andere Tour durch die Lagune machen als beim letzten Mal. Zu diesem Zweck soll eine Gruppe von sieben Personen dieses Boot besteigen, mit dem wir die Lagune durchkreuzen werden.

Ob die stark bezahnten Parkwächter uns wohl ranlassen werden?


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Sieben Leute auf diesem Kahn?? Ich bin ja vom jahrzehntelangen Tauchen noch ganz andere Sachen gewohnt, aber dieses Vorhaben kann nicht gut gehen, denke ich. Daraufhin sagt mir unser Guide, daß er schon mit 14 Personen auf dem Ding unterwegs gewesen sei. Ob er hier nun einfach die Zahl rhetorisch verdoppelt hat oder das wirklich stattgefunden hat, bleibt sein Geheimnis und wider Erwarten klappt die Nummer doch ganz gut. Trotz der Enge an Bord gelingt es mir sogar, die "richtige" Kamera aus der Tasche zu ziehen und die Inseln mal von der Mitte der Lagune aus zu fotografieren. Der Anblick ist faszinierend, manche Motive sehen aus wie Gemälde.


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Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 12 Mär 2023 21:07
von mr.minolta
Nach etwa 20 Minuten haben wir die Lagune durchquert und nähern uns unserem Ziel, einem recht abgelegenen Motu, der wie alle anderen auch natürlich unbewohnt ist. Hier möchte unser Guide einen der selten gewordenen Palmendiebe aufspüren, um ihn anschließend mit auf die Basisinsel zu nehmen, wo er die Tiere wieder ansiedeln möchte.


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Das Boot kann hier direkt am Ufer geankert werden und neugierig macht sich unsere Gruppe auf den Weg durch's dichte Unterholz der Insel. Der Mückenterror ist unbeschreiblich, aber spannend ist es trotzdem. Es wimmelt nur so von Landkrabben, brütenden Vögeln und exotischen Gewächsen.


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Einen Weg durch die dichte Vegetation zu finden, ist nicht leicht und auch unser Guide hat Schwierigkeiten, hier einen Palmendieb aufzuspüren. Bei dieser Spezies handelt es sich um das größte landlebende Krebstier der Welt. Er kann die Größe eines Basketballs erreichen und ist gefürchtet wegen seiner starken Scheren. Bei einem ausgewachsenen Exemplar kann das schnell zum Verlust eines Fingers oder gar der ganzen Hand führen, was leider nicht verhindert hat, daß diese wohlschmeckende Art heute fast überall in den Tropen stark bedroht oder bereits ausgestorben ist.


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Schließlich haben wir Glück!

Stolz präsentiert der Guide die Beute, die in diesem Fall für einen guten Zweck eingefangen wurde. Vor Jahren ließ ich mich auf den Cook Inseln einmal gewollt von einem deutlich kleineren Exemplar zwicken, weil ich wissen wollte, welche Kraft das Tier so aufwenden kann. Das war ein richtiges Baby, etwa so groß wie eine Pflaume. Ich schrie jedoch vor Schmerz und wurde ihn kaum noch los. Bei diesem hier, der immer noch ein Kleinkind ist, wäre der Finger einfach ab.


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Nachdem alle ihre Fotos gemacht haben, wird das Monster fachgerecht verschnürt und tritt zusammen mit uns den Weg zurück auf dem Boot an.


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Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 12 Mär 2023 21:20
von mr.minolta
Die Rückfahrt in dem mit sieben Menschen und einem Krebs vollgestopften Boot gestaltet sich erneut problemlos und wir haben sogar noch Zeit für einen Zwischenstop zum Schnorcheln. Eins der vielen Fleckriffe in der Lagune eignet sich dazu besonders gut.


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Anschließend gelangen wir zur Basisinsel, wo während unserer Abwesenheit nicht viel passiert ist. Vielleicht hat man einfach nur noch ein paar Hunde mehr begraben...


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Als Expeditionsassistent fällt mir nun erneut eine wichtige Aufgabe zu. Ich darf den Palmendieb, nachdem er von den Zurückgebliebenen bestaunt und fotografiert worden ist, in die Freiheit entlassen. Ich wähle einen geeignete Palme aus, die er sofort im Rekordtempo erklimmt.

Mission erfüllt.


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Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 12 Mär 2023 22:04
von mr.minolta
Wir beschließen den Tag mit dem wie gewohnt hervorragenden BBQ und dann ist es Zeit, Abschied zu nehmen.


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Die Rückfahrt wird wiederum abwechslungsreich gestaltet. Wir stoppen an einem Motu, der eine Copra-Station beherbergt. Diese selten gewordenen Anlagen zur Kokosnußverwertung erlauben einen Einblick in vergangene Zeiten, als die Kokosnuß noch das wesentliche Alltags- und Exportprodukt tropischer Nationen war. Zeiten, in denen Tourismus und Smartphonesucht Fremdworte waren.

Abermals müssen wir ein paar Schritte durch's Wasser machen, um den schmalen Strand zu erreichen. Und wo Kokosnüsse sind, sind auch Einsiedlerkrebse! Unsere Mitfahrer stürzen sich förmlich auf die kleinen Tiere, die sich mit Vorliebe von diesen Früchten ernähren und hier recht zahlreich sind. Wir nehmen das nun eher mit einem Schmunzeln zur Kenntnis, nachdem wir vor vier Jahren in Tonga Zehntausende von Einsiedlern um unsere Hütte herum hatten. In jedem Fall wecken die Tiere ein besonderes Interesse und die französischen Touristen von unserem Boot haben sie wohl noch nie zuvor gesehen.

Auf der Insel lebt ein Mitglied der Familie unseres Veranstalters. Ab und zu fahren sie mit dem Boot vorbei und bringen ihm ein paar Lebensmittel, ansonsten ist das Leben hier wohl eher ruhig, um nicht zu sagen seeehr ruhig. Die Umgebung vermittelt den klischeehaften Eindruck des fleischgewordenen Südsee-Faulheitstraums. Fässer, Bretter, Müll und allerlei Krempel liegen hier herum. Es gibt drei Hunde, einen Motorroller und ein richtiges Klo!

Herrlich...


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Und mein Faible für in den Tropen vor sich hingammelnde Fahrzeuge wird auch hier wieder ausreichend bedient! Man fragt sich nur, wofür die den Pick Up hier mal gebraucht haben. Sind sie damit wirklich die wenige Hundert Meter lange Insel ohne jede Straße immer auf- und abgefahren??


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Neben all diesen wunderbaren Eindrücken ist das Vorhandensein der Copraproduktion eher nebensächlich, aber der Vollständigkeit halber schauen wir sie uns natürlich auch noch an.


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Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 12 Mär 2023 22:07
von knuffi
Die Bilder sind echt so der Hammer, mega!
Und danke auch für deine/eure Erzählungen dazu, sind total schön zum lesen!

Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 12 Mär 2023 23:01
von mr.minolta
Die letzte Etappe auf dem Weg nachhause wird in zauberhaftes Licht getaucht. Vorbei an den endlosen Uferlinien der Motus nähern wir uns dem Sonnenuntergang. Dabei passieren wir eine gestrandete Segelyacht, die man hier als pittoreskes Motiv einfach liegengelassen hat. Die Szenerie erinnert uns spontan an den "Fluch der Karibik"...


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Zuletzt gibt es dann noch die Fahrt durch den Tiputa-Kanal, aber die Delphine sind heut faul und lassen sich kaum blicken. Dennoch ein toller Tag voller Eindrücke, die man mit nachhause nehmen kann. Unser Guide bekommt ein üppiges Trinkgeld, das in diesem Land zwar nicht erwartet, aber in diesem Fall doch dankbar angenommen wird. Uns bleiben noch zwei Tage auf Rangiroa, die wir mit Faulsein und weiteren Radausflügen verbringen. Und wir besuchen die kleine Pizzeria an der Straße hinter dem Maitai, die als solche kaum erkennbar ist. Ein Schild oder gar Leuchtreklame gibt es hier nicht, man muß einfach wissen, daß es in diesem unscheinbaren Wohnhaus auch einen relativ großen gastronomischen Bereich gibt. Allerdings hat der Laden keine regulären Öffnungszeiten. Man macht ihn je nach Lust und Laune auf und zu und manchmal steht eine Kreidetafel vor dem Haus, die darauf aufmerksam macht, daß es heute abend mal was zu essen geben wird. Es kommt dann vor, daß man zwar 20 Tische gedeckt hat, aber außer uns keine Gäste anzutreffen sind. Dabei ist die Karte äußerst umfangreich und die Pizza grandios gut.

Der letzte Tag ist gekommen und wieder packen wir wehmütig unsere Koffer. Wir hatten 10 Tage auf Rangiroa, 10 Tage voller Drama und Faszination. Tausende Fotos wurden gemacht und die Aussicht darauf, daß wir nun gerade erst die Hälfte unseres Südsee-Trips hinter uns haben, macht den Abschied etwas leichter. Im winzigen Flughafen-Terminal herrscht heute Hochbetrieb. 25-30 Personen checken ein, das ist hier richtig viel. Es gibt Live-Musik mit der Ukulele, im Souvenirshop erstehe ich eine seltene goldfarbene Perle für meine Suse und dann geht es auch schon los!

Nach dem Take Off ein letzter Blick auf den Ort, an dem wir so viel erlebt haben. Links die Öffnung in den Tiputa-Kanal, rechts am Anleger der Snack Puna und davor das Dorf Otohu mit dem großen, aber leergekauften Supermarkt.

Adieu, Rangiroa!


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Eine tolle Zugabe zu den teuren Inlandsflügen mit Air Tahiti ist der Blick auf die zahlreichen Inseln und Atolle, die man auf dem Weg von oder nach Papeete überfliegt. Bei guter Sicht kann man dann tolle Bilder machen.


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Mit der Landung auf Tahiti ist dieses Kapitel nun beendet. Nach einer weiteren Nacht im Fare Suisse geht es für uns weiter auf die legendenumwobene Inselgruppe der Marquesas. Heimat der Kannibalen und Handlungsort älterer sowie jüngerer Weltgeschichte. Dazu Gebirgsformationen, die es fast mit Hawaii aufnehmen können.

Ab hier wird Suse wieder übernehmen, in wenigen Tagen geht es weiter!

Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 12 Mär 2023 23:08
von mr.minolta
knuffi hat geschrieben: 12 Mär 2023 22:07Die Bilder sind echt so der Hammer, mega!
Und danke auch für deine/eure Erzählungen dazu, sind total schön zum lesen!
Freut uns, daß es Dir so gefällt! :D

In ein paar Tagen geht es weiter und es kommen noch viele Bilder dazu.

Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 15 Mär 2023 18:32
von Suse
Die Leis, Blumenketten, gibt es in Französisch Polynesien immer nur zur Begrüßung. Zum Abschied gibt es immer eine Kette aus etwas für die Insel Typischem. Auf Rangiroa sind es kleine aufgefädelte Muscheln, die zu kleinen Blumen angeordnet sind. Wir lassen sie um den Hals, bis wir in Papeete landen.

Rangiroa, das ist die Südsee, wie man sie sich vorstellt, die kleinen Motus, wie Spiegeleier hingekleckst im endlosen Türkis und Blau. Die Palmenstrände, die freundlich lächelnden Einheimischen mit Blüten hinter dem Ohr und ihrer weichen melodischen Sprache. Wenn man mal davon absieht, daß es für ein hochpreisiges Hotel wie das Maitai eigentlich nicht ok ist, daß Fahrräder, die obendrein kostenpflichtig verliehen werden, erst nach der Beschwerde eines Gastes, nämlich mir :wink: , so auf Vordermann gebracht wurden, daß man damit überhaupt anständig fahren konnte, war der Aufenthalt auf Rangiroa annähernd perfekt. Was nicht zuletzt der Organisation unserer Ausflüge durch das Team von Orava zu verdanken war und weil wir nicht genau wissen, mit wem wir es auf den nächsten Inseln zu tun bekommen, verlassen wir Rangiroa diesbezüglich schon mit mehr als einer Träne im Knopfloch.

Im Gegensatz zu Air Tahiti Nui, der internationalen Fluggesellschaft von Französisch Polynesien, hieß die inländische Gesellschaft früher Air Tahiti Iti. Das "klein" im Namen empfand man irgendwann wohl als nicht mehr zeitgemäß, so daß sie heute nur mehr Air Tahiti heißt. Daß es zwischen den einzelnen Inselgruppen keine Direktverbindungen gibt, sondern immer alles über das Drehkreuz Tahiti gehen muß, daran hat sich allerdings nichts geändert, so daß auch wir jetzt zunächst nach Papeete und für eine Nacht ins Fare Suisse zurückmüssen. Die Organisation der einzelnene Aufentaltsdauern auf den einzelnen Inseln sind dadurch eine gewisse logistische Herausforderung, denn nicht auf alle Inseln fliegen jeden Tag Maschinen. Auch auf die Marquesas gibt es nur zweimal wöchentlich eine Verbindung und die geht um 6 Uhr morgens in der Früh. Das wird hart.

Eine Mitarbeiterin vom Fare Suisse holt uns ab, die Transfers vom und zum Flughafen sind hier ja inbegriffen. Sie erkennt uns bereits wieder, so lange waren wir ja nicht weg. Ia Orana und Maeva, die gängigen Begrüßungsfloskeln, beherrschen wir inzwischen ganz automatisch, aber Blumenketten bekommen wir diesmal ncicht. Sie ist interessiert an Rangiroa, man muß ja nicht denken, daß alle Polynesier schon auf allen Inseln waren. Auch über die Marquesas weiß sie nur, was die Gäste im Fare Suisse so erzählen.

Unterwegs nach Paofai sind diesmal keine Erläuterungen zum Stadtteil mehr nötig, wir kennen uns aus. Am Boulevard der Königin Pomare entlang sieht man Bautätigkeiten, Tribünen werden errichtet, das ist schon für das große Kulturfestival Heiva, das alljährlich Ende Juni in fast allen polynesischen Staaten abgehalten wird. Dabei stehen Tanzwettbewerbe des polynesischen Tanzes, "Ori" genannt, ganz klar im Vordergrund. Und wie der aussieht, davon hat ja auch fast jeder eine gewisse Vorstellung, die Hüftbewegungen der Frauen und das Zusammenschlagen der Knie bei den Männern:

https://www.youtube.com/watch?v=R23PgVpvAxs

Daß die Marquesianer eine ganz eigene Meinung zum "Ori Tahitien" haben, werden wir bald erfahren. Auf den Marquesas ist tatsächlich manches anders.

Im Fare Suisse lassen wir uns unsere eingelagerte Kiste geben und räumen ein paar Sachen hin und her. Vor allem müssen für alle Fälle ein paar wärmere Gepäckstücke in die Koffer, wir fliegen schließlich in die Berge. Auch die schweren Muschelketten aus dem Maitai werden verstaut, dann bleibt noch Zeit für eine kleine Pizza. Beni-Brot wird es morgen nicht geben, wir werden lange vor dem Frühstück zum Flughafen gebracht. Um drei Uhr klingelt der Wecker und im Fare Suisse hat Thérèse wie immer mitgedacht und uns ein Zimmer im Gebäudeteil neben dem Konsulatsbüro gegeben, so daß wir morgen kurze Wege haben.

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Trotz zwei Gläsern Hinano will keine Schläfrigkeit aufkommen, wir sind aufgeregt, die Marquesas sind Inseln, die wir nun beide noch nicht kennen und die auch anders sind als alles, was man so gemeinhin über die Südsee denkt. Sie sind das "Fenua enata", das Land der Männer, und zwar der richtigen, wenn man den Marquesianern glauben darf. Die Legende besagt, daß alle fünf bewohnten Inseln das Haus darstellen, das die Menschen bewohnen. Daß Ua Pou dabei die Säulen des Hauses symbolisiert, erklärt sich schnell, wenn man einmal ein Bild der Insel gesehen hat.

https://www.easyvoyage.de/polynesien/ua-pou-2823

Und nein, das Bild ist nicht aus dem AI-Generator.

Hiva Oa stellt die Wände des Hauses dar, Nuku Hiva die Dachlatten, Fatu Hiva die Palmwedel, die das Haus bedecken. Eigentlich wäre es damit ja fertig, aber da wäre noch Ua Huka übrig, der die Rolle zufiel, die Müllgrube des Hauses zu symbolisieren. Gottseidank hat Ua Huka für die Marquesianer aber vor allem den Ruf, die Insel der wilden Pferde zu sein und nicht der Abfalleimer.

Wir werden zwei Inseln besuchen, Hiva Oa und Nuku Hiva und mit Hiva Oa fangen wir an.

Um drei Uhr morgens klingelt der Wecker, wir sind total übernächtigt und mega schlecht gelaunt, alle beide, wir frieren und es gibt nicht mal einen Kaffee. Thérèse bringt uns zum Flughafen. Außer uns sind noch fünf weitere Personen im Bus, ein älteres Ehepaar, denen wir in den kommenden Tagen immer wieder begegnen werden, und die beide ganz reizend sind. Und ein Dreiergespann, zwei Frauen und ein Mann, möglicherweise Eltern mit Tochter. Die drei sind hier nicht zum Spaß, das merkt man sofort, Reisen ist eine ernstzunehmende Angelegenheit. Sie sind drei Wochen hier und haben jede erdenkliche Insel mitgenommen, gerade sind sie von den Gambiers zurückgekehrt. Und sie kennen sich aus, denn bei Air Tahiti, ehemals Iti, gibt es keine zugewiesenen Plätze, hier herrscht Faustkampf, und als Tourist, der Fotos machen will, gilt es zu wissen, auf welcher Seite man sitzen muß, um den besten Blick bei Start, Landung und Unterwegs zu haben. Wir sind noch nicht ganz im Terminal angekommen, da haben die drei schon die Pole Position ganz vor an der Tür eingenommen, um die ersten im Flugzeug zu sein.

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Wir vermuten, daß die Inseln bei Ankunft rechts liegen werden, und behalten damit später auch recht. Unterwegs gibt es ein Sandwich und etwas Fruchtsaft, denn der Flug dauert immerhin über drei Stunden. Die Maschine fliegt einen weiten Bogen über die Tuamotus und dann nach Norden. Vielleicht überfliegen wir dabei sogar nochmal Rangiroa. Auf jeden Fall überfliegen wir Moorea und auch die nicht weit davon liegende Insel Maiao, falls sich noch jemand an die Legende vom Gelben Leguan erinnert. Nachdem in den 1920er Jahren ein einzelner englischer Geschäftsmann es geschafft hat, die Inselbevölkerung an den Rand einer Hungersnot zu bringen, wurde Maiao der Bevölkerung in Selbstverwaltung übergeben. Seither gibt es keinerlei touristische Nutzung mehr, die einzige Möglichkeit, sie zu betreten, ist nach persönlicher Einladung durch einen Einheimischen, für alle anderen ist das Betreten verboten. Dabei muß Maiao wunderschön sein, mit zwei großen Binnenseen, über deren Fauna man bis heute kaum etwas weiß.

https://www.youtube.com/watch?v=m2jYsyx16vk

Dann liegt Hiva Oa vor uns. Auffallend ist, daß es hier kaum Strände gibt, die Riffe um die Marquesas sind schon vor Jahrtausenden versunken und die Küste fällt fast überall steil ins Meer ab. Keine Motus, kein Türkis.

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Und nicht nur das ist anders, auch die Sprache. Hier spricht man kein Tahitianisch, sondern Marquesianisch, und das ist ein gewaltiger Unterschied. Kein melodisches Ia Orana sondern ein lautes Kaoha! ist die gängige Begrüßung. Die Marquesianer sind die Bevölkerungsgruppe, deren Kultur am ehesten der der Maori ähnelt, die sie als die "wahren" Polynesier betrachten, die die Kultur Hawai'is bewahrt haben, von wo aus die Besiedelung Ozeaniens begann. Es kommt dann auch nicht von ungefähr, wenn einen das Kaoha ein wenig an Aloha erinnert.

Wir haben uns hier eine kleine Pension ausgesucht, die von einer Frau namens Joséphine betrieben wird und auch nach ihr benannt ist. Weil die Marquesas touristisch relativ unerschlossen sind und wir vor Ort keine Zeit damit vertun wollten, uns erst nach passenden Guides und Ausflugsangeboten umzusehen, haben wir mit der Unterkunft ein Ausflugspaket gebucht, drei Tage Halbpension inklusive zweier Ausflüge. Daß wir dabei bezüglich der Organisatoren jetzt einen Blindflug machen, wird uns später noch klar werden, denn nicht alle Anbieter sind so professionell wie Orava auf Rangiroa. Daß wir die Zeit des Aufenthalts für all das, was wir dort sehen möchten, eigentlich zu knapp bemessen haben, insbesondere da zwei unserer drei Tage ein Wochenende umfassen, ist uns vorher schon klargeworden.

Wir wir bald kapieren, sind Joséphine, die Betreiberin unserer Pension, und der Eigentümer des größten (und vermutlich auch mit Abstand besten und teuersten) Hotels auf der Insel, der Hanakee Lodge, ein Ehepaar. Selbiger, ein Franzose mit Namen Jean-Jacques holt uns höchstpersönlich ab, ein älterer Herr mit geschliffenem Benehmen. Bei ihm klingt sogar das Kaoha! weich und freundlich.

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Die beiden Hotels liegen direkt nebeneinander, die Pension Joséphine etwas unterhalb der Hanakee Lodge und Joséphine zeigt uns unsere Hütte. Die Bauweise ist von außen schlicht, innen aber mit allem Komfort und der Balkon blickt über die Bucht von Atuona.

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Das Essen bekommen wir oben in der Lodge, weil heute Sonntag ist, gibt es Brunch. Es ist ja erst später Vormittag und es sind viele Polynesier hier, für die ist das vermutlich ein Sonntagsausflug inklusive Poolbenutzung.

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Die Lodge ist um einiges nobler als unsere Pension, aber da beides ja quasi zusammengehört, profitieren wir als Gäste von Joséphine auch davon.

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Wir bedienen uns am Buffet.

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Der Blick ist in alle Richtungen grandios.

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Allzuviel Zeit haben wir aber nicht, das hier zu genießen, wir haben heute noch etwas vor.

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Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 16 Mär 2023 12:34
von Suse
Da das Hotel relativ weit oben am Berg liegt, wäre es ein ganz schöner Fußmarsch bis hinunter in die Hauptstadt von Hiva Oa, Atuona. Die Hanakee Lodge bietet einen kostenlosen Shuttle, wir sind heute die einzigen, die noch in die Stadt wollen. Eine Mitarbeiterin der Lodge fährt uns, sie stammt aus der Müllgrube des marquesianischen Gebäudekomplexes, aus Ua Huka, also der Insel der Wilden Pferde. Sie selbst habe mit Pferden aber nichts am Hut, aber überall auf den Inseln gibt es sie und das Einfangen, Ausbilden und Einsetzen zur Jagd sei Tagesgeschäft hier für die Männer und auch für manche Frauen. Eigentlich sind die Marquesianer alle Jäger und es lebt sich hier, wenn man will, relativ unabhängig von staatlicher Kontrolle und Fürsorge. Wildschweine und Ziegen sind reichlich vorhanden.

Unser Weg führt uns aber zunächst nur einmal über die Hauptstraße und dann wieder hinauf in die Berge, denn hier liegt die Cimetière du Calvaire. Also der Friedhof, auf dem die zwei berühmtesten Bewohner Hiva Oas ziemlich nah beieinander begraben liegen, auch wenn sich ihre Lebensspannen nicht überschnitten haben. Beide haben das Bild von Französisch Polynesien in der Weltöffentlichkeit geprägt, Paul Gauguin und Jacques Brel.

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Auf dem Friedhof sind wir zunächst die einzigen Besucher. Das Grab von Brel liegt tiefer und sticht sofort ins Auge.

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Ein großer Gedenkstein mit Portraits von Brel und seiner Lebensgefährtin Maddly, Palmen und ein Frangipanibaum rahmen es ein.

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Das Grab selbst ist von Kieselsteinen bedeckt, auf denen die Verehrer(innen) ihrem Gedenken freien Lauf gelassen haben. Brel wird bis heute stark vermißt, ich kann das nachvollziehen, vermutlich geht es den Leuten mit ihm so wie mir mit Amy Winehouse.

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Brel war Chansonnier, die Musik also stark textlastig, was sicher erklärt, weshalb er vor allem bei französischen Muttersprachlern prägend war. Von ihm stammen auch ein paar der die Marquesas prägnant skizzierenden Textzeilen: Gémir n'est pas de mise aux Marquises. Auf den Marquesas jammert man nicht.

https://www.youtube.com/watch?v=PEwmj4Mq9kc

Das Grab wird ganz offensichtlich regelmäßig besucht.

Eine Reihe weiter oben am Hang dann der massive Steinsockel auf dem Grab von Gauguin, bewacht von einer Statue der Oviri, der Göttin des Todes und der Trauer.

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Nicht erst heute, wo ein geändertes Bewußtsein für den Umgang mit indigenen Bevölkerungen in früheren Jahrhunderten mit einer anderen Betrachtung seines Wirkens auf den Inseln einhergeht, sondern auch schon damals waren nicht alle jungen Frauen begeistert von der Möglichkeit, mit einem zugewanderten Maler mit starker Neigung zum Absinthgenuß der freien Liebe zu frönen. Seine Bilder hingegen gehören natürlich heute zum kollektiven Kulturgut der Polynesier, wenngleich kein einziges Bild hier auf Hiva Oa aufbewahrt wird. Unseren ersten Gauguin werden wir erst in einem halben Jahr in New York sehen.

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Während wir uns hier aufhalten, kommen andere Besucher, auch das ältere Ehepaar aus dem Fare Suisse, mit denen wir heute in aller Herrgottsfrühe losgeflogen sind. Wir beglückwünschen uns gegenseitig zu unserem Durchhaltevermögen, nach der Anreise noch solche Exkursionen zu unternehmen. Wir sind ja immerhin mit dem Auto bis hierhier gefahren worden, die beiden sind ungefähr 20 Jahre älter als wir und zu Fuß hier heraufgestiegen.

Zurück in die Stadt gehen wir dann auch zu Fuß.

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Unterwegs ist alles wie ausgestorben, die Häuser entlang des Weges sind zumeist mit hohen, überwucherten Zäunen vor Blicken geschützt. Hier entlang kommen vermutlich für die touristisch relativ unerschlossenen Marquesas reichlich viele Touristen.

Manche Häuser hingegen gewähren auch ganz private Einblicke:

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In der Stadt unten alles wie ausgestorben.

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Die umliegenden Berge liegen schon wieder in den Wolken, es ist ein dämmriger Sonntagnachmittag.

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Auf der Hauptstraße erhaschen wir gerade noch einen Blick auf eine Gruppe Jugendlicher, einige davon zu Pferd unterwegs. Die Geschäfte sind alle geschlossen.

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Auch das Gauguin-Museum und dahinter der Hangar, in dem "Jojo" ausgestellt ist, Jacques Brels Flugzeug, sind geschlossen. Angesichts unseres Ausflugsprogramms habe ich schon Bedenken, wie wir das mit den Öffnungszeiten hier in Einklang bringen wollen, aber Jean-Jacques meinte nur, da solle ich mir keine Sorgen machen, er arrangiere das für uns. Da bin ich gespannt.

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In der Ortsmitte das Centre Culturel. Die langen Versammlungshäuser sind verlassen. Wir laufen zwischen den Tikis herum, die die Gebäude zieren. Sie sind alle ganz unterschiedlich, aber alle haben die überdimensionierten Köpfe gemeinsam, die tatsächlich ein bißchen wie Astronautenhelme aussehen und daran glauben lassen könnten, daß Däniken recht hat, wenn er sagt, daß viele antike Darstellungen von Außerirdischen inspiriert worden seien.

Atuona hat in der Bucht sogar ein kleines Stück schwarzen Lavastrand. Es gibt Sitzgelegenheiten hier, die irgendein Kunsthandwerker aus Treibgut liebevoll zusammengezimmert zu haben scheint. Wir setzen uns auf eine etwas wacklige Bank und schauen den Surfern zu. Das ist zwar nicht mit Teahupo'o zu vergleichen, aber Anfänger sind das hier auch keine. In Atuona gibt es das einzige Sportinternat speziell für Wassersportler Französisch Polynesiens.

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Gegen Abend holt Jean-Jacques uns in der Ortsmitte ab. Abendessen gibt es oben in der Hanakee Lodge. Die Auswahl ist wieder übersichtlich, aber alle Gerichte, die zur Auswahl stehen, sind großartig. Außer uns sind nur wenige Gäste da, am Nachbartisch eine französische Familie, sonst ist das Restaurant leer. Das war ein spannender erster Tag auf Hiva Oa und morgen geht es kreuz und quer über die Insel.
Nachdem wir den steilen Hang zur Pension Joséphine wieder hinuntergekraxelt sind, schlafen wir wie die Toten. Zumindest bis vier Uhr morgens.

Da sitzen wir dann senkrecht im Bett. Ein lautes Krachen hat uns aufgeweckt, Füßetrappeln auf dem Haus, aus den hölzernen Dachschindeln rieseln Späne. Der Lärm beginnt immer wieder von neuem, neues Geriesel. Na großartig, was ist das denn? Wir klopfen an die Wand und rufen, das hilft nur kurzzeitig. An Weiterschlafen ist so nicht zu denken. Schließlich gehe ich zornschnaubend vors Haus und leuchte mit der Handytaschenlampe ins Dach. Zu sehen ist nichts, aber das Licht scheint den Eindringling vertrieben zu haben. Als ich die Lampe ausschalte, entfaltet sich zur Entschädigung ein grandioser Nachthimmel über mir, die Sterne sind so leuchtend und nah, als könnte man sie greifen. Ich muß erst einen Moment stehenbleiben und das genießen, es ist überwältigend. Wir werden also morgen wenigstens gutes Wetter haben.

Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 17 Mär 2023 15:58
von Suse
Am nächsten Morgen klettern wir den Hang hinauf zur Lodge. Ich melde mich an der Rezeption um zu sagen, daß die Sauerei auf dem Fußboden in unserer Hütte nicht wir angerichtet haben, sondern irgendein nächtlicher Besucher auf dem Hausdach. Sie bedauert uns, daß uns der Nachtschlaf geraubt wurde, und weiß auch gleich wer das war. Es sind Beos, die bei trockener Witterung unter den Dachschindeln nach Insekten suchen. Sollte es regnen, hätte man Ruhe. Naja, kann man sich jetzt aussuchen, was man bevorzugt.

Zum Frühstück gibt es Buffet, sogar mit englischem Frühstück, Rührei und Baconstreifen, super. Als wir die französische Familie dort antreffen, ahnen wir schon, daß wir die Inseltour heute wohl gemeinsam machen werden.

So ist es dann auch. Die Franzosen sind, wie üblich, zuerst sehr zurückhaltend. Unser Fahrer heißt Henri, er ist kein freiberuflicher Guide, sondern bei der Lodge angestellt, aber wir könnten uns keinen besseren Guide wünschen. Er ist auf Hiva Oa geboren und kennt die Insel in- und auswendig. Wir klettern in einen Siebensitzer, die Franzosen vor uns, und Henri fragt in die Runde, in welchen Sprachen er die Tour halten soll. Wir melden uns vom Rücksitz, daß Französisch ok ist, und die Familie macht große Augen, vor allem der Sohn. Deutsch Leistungskurs, starke Affinität zu Deutschland, besonders Berlin, stellt sich später heraus. Wir werden mit den sehr sympathischen Leuten in den kommenden Tagen viel Spaß haben und bedauern bis heute, daß wir keine Kontaktdaten von ihnen haben.

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Auch auf Hiva Oa gibt es natürlich überall dort, wo sich Marae, also heilige Stätten, befinden, Tikis, und unsere erste Station führt nach einer ungefähr zwanzigminütigen Wanderung tief in das Tal von Punaei im Wald. Der Weg ist matschig, es ist feucht hier, und wimmelt vor Mücken.
Henri stellt uns die Göttin vor, die hier im Wald über ihr Marae wacht. Sie trägt, so lernen wir, ein Symbol ihrer Macht um ihre Augen, es sieht aus wie eine Brille, ist aber keine, sondern war bei hochgestellten Frauen eine Gesichtstätowierung.

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Wir dürfen uns mit der Göttin fotografieren lassen und sie auch berühren, dagegen hat sie nichts. Sie ist eine freundliche Göttin und deshalb muß man sie auch gesehen haben. Sie lächelt, und lächelnde Tikis haben in der Inselwelt Polynesiens Seltenheitswert.

Währenddessen hüpfen wir von einem Bein aufs andere und fuchteln mit den Armen, irgendwann muß das Off, das die ganze Reise aus Florida hierher mitgemacht hat, zum Einsatz kommen, dann endlich geht es und wir können uns wieder konzentrieren.

Es dauert jetzt natürlich nicht lange, bis Henri ganz von sich aus auf das Thema Kannibalismus kommt. Ja, natürlich ist das keine Legende, das gab es. Aber anders, als man gemeinhin glaubt, diente der Kannibalismus hier nicht der reinen Ernährung, Menschenfleisch war kein Ersatz, wenn Ziegen oder Schweine knapp wurden, der Verzehr hatte rein rituellen Charakter. Gegessen wurden die Teile der besiegten Feinde, vor allem von Kriegern, höhergestellten Adligen oder Priestern, denen man bestimmte positive Eigenschaften zuschrieb. Vor allem die Augen, das Herz und das Gehirn waren Körperteile, von deren Verzehr man sich einen Übergang der Intelligenz oder der körperlichen Leistungsfähigkeit der Opfer versprach. Auch Teile des Skeletts fanden Verwendung, Hirnschalen wurden zu rituellen Trinkgefäßen umgewidmet. Henri benutzt dann auch nicht den Begriff Kannibalismus, sondern den wissenschaftlichen, Antropophagie.

Das Land ist immer noch wild und Versuche, eine Tahiti entsprechende Infrastruktur anzulegen, sind nur teilweise gelungen. Der ehemalige Präsident Polynesiens, Gaston Flosse, hat versucht, eine Busverbindung zu den abgelegeneren Inselteilen einzurichten. Die Bushaltestellen waren schon fertig, aber die Buslinien kamen nie. Die Haltestellen werden heute gelegentlich als Unterstand bei Regen genutzt. Auch die Straßen sind größtenteils unbefestigt, aber in relativ gutem Zustand. An der neuralgischen Abzweigung dreier großer Straßen ins Inselinnere, zur Hauptstadt und zum Flughafen gibt es aber immerhin sogar einen Kreisel, der im Volksmund Rond Point Flosse genannt wird, den Polynesiern dient er als Beispiel für Geldverschwendung.

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Wir fahren im Kreisel rechts raus und ab geht es in die üppige Vegetation, überall Aufsitzerpflanzen, viele epipyhtische Farne, aber dann geht es bald wieder abwärts ins nächste Tal. Während wir weiterfahren, passieren uns immer wieder Pickup Trucks, die Ladeflächen voller zottiger hechelnder Hunde. Das sind Jäger, die in die Berge fahren. Die Hänge sind voller Ziegen.

Wir erreichen unseren nächsten Stop, den kleinen Ort Nahoe an der Nordküste Hiva Oas. Der Ort ist abgeschieden und wirkt fern jeglicher Zivilisation, aber der französische Einfluß ist vorhanden. Es gibt ein richtiges kleines Boule-Stadion, mit sorgfältig gespannten Schnüren zwischen den einzelnen Bahnen, sogar eine überdachte Arena gibt es. Die Spieler bedienen sich kleiner Magnete an Bändern, mit denen sie die Kugeln aufheben, damit sie sich nicht bücken müssen. Sehr erfinderisch.

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Die Atmosphäre ist relaxed, die Frauen sitzen auf der Umrandung der Boule-Arena, ein paar Kinder spielen am Strand.

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Der Strand ist sehr besonders. Hier mischen sich offensichtlich Korallensplit und Lava, der Sand hat eine silbriggraue Farbe, die bei Sonne zu glitzern beginnt, ganz ungewöhnlich, sowas habe ich noch nie gesehen. Der Mister ist hingerissen von diesem Ort und beginnt sofort zu träumen, wie es sein müßte, hier zu leben.

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Henri baut ein kleines Früchtebuffet auf, Grapefruits, Mangos, kleine Bananen, Lychees. Ich esse eigentlich nicht gern Obst, aber solches wie hier habe ich noch nie gegessen. Die Grapefruits sind überhaupt nicht bitter und auch nicht sauer, sondern nur lecker und erfrischend. Die Mangos sind zuckersüß. Wir essen fast alles auf, ich glaube, ich habe noch nie solche Mengen Obst auf einmal gegessen.

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Henri ist ein Allrounder, während wir picknicken, spielt er die Ukulele und erzählt uns ein bißchen über die Marquesianische Kultur. Wenn er die Unterschiede zwischen Tahiti und den Marquesas herausstellen möchte, betont er die Authentizität der Marquesas und die Verwässerung der Tahitianischen Kultur durch den europäischen Einfluß. Der Ori Tahitien, sagt er, sei nichts weiter als ein Zugeständnis an die christliche Priesterschaft, das Knieschlagen der Männer sei erfunden worden, damit die Priester sich nicht vor der Wildheit der ursprünglichen polynesischen Tänze ängstigten. Auf den Marquesas tanzt man den Haka, wie in Neuseeland.

https://www.youtube.com/watch?v=4DaPkSc808k

Auch die tahitianische Sprache nimmt man hier nicht ernst. Ia Oranaaaa zieht er die Worte in die Länge und macht dazu gezierte Handbewegungen, ist schon klar, daß das Ganze irgendwie tuntig aussehen soll, die Tahitianer sind aus Sicht der Marquesianer sowas wie die weichgespülte Variante, das läßt er immer wieder durchblicken.

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Wir fahren weiter nach Puamau, die östlichste Siedlung Hiva Oas. Hier ist wirklich die Welt zuende, ab hier gibt es nur noch Pfade in die Berge. Es ist durchaus möglich, Einheimische bei der Wildschweinjagd zu begleiten, aber dazu muß man körperlich richtig fit sein.

Wir bekommen unser Mittagessen in einem kleinen Lokal im Wald serviert. Am Nachbartisch eine andere Reisegruppe und, welch Überraschung, das ältere französische Paar aus dem Fare Suisse. Man läuft sich hier eben immer wieder über den Weg.

Henri und der Guide der anderen Gruppe kennen sich natürlich und geben uns ein kleines Konzert, der andere Guide ist ein guter Sänger. Das Essen ist abwechslungsreich und auf Allergien wurde Rücksicht genommen. Es gibt Wildschwein, Ziege und natürlich den Poisson Cru, den Thunfischsalat. Dazu verschiedene Nachspeisen aus Taro und Banane.

Wir sitzen zu sechst am Tisch und verstehen uns prima. Die Franzosen sind mehr als sympathisch, absolut normale Leute, keine überkandidelten Pariser, sondern irgendwo aus dem Norden, Ch’tis, wie man in Frankreich ein bißchen ironisch sagt. Viele kennen sicher den Film dazu.

Der Sohn, wird uns berichtet, hatte Deutsch als Leistungskurs und war mehrmals dort, er fand es super, natürlich kennt er Berlin, fand er großartig, wie alle jungen Franzosen. Die wildere, schmuddligere Version von Paris quasi. Der Mister als Angehöriger der aussterbenden Minderheit der Bio-Berliner hat natürlich seine besondere Aufmerksamkeit und er hat tausend Fragen zum Leben in Berlin. Dabei begebe ich mich dann irgendwann auf das ganz dünne Eis, auf Französisch erklären zu wollen, was es mit dem Milieuschutz in Berlin auf sich hat, danach raucht mir der Kopf.

Hinter Puamau liegt die heilige Stätte von Iipona. Hier gibt es eine große Ansammlung von Tiki unterschiedlicher Bedeutung.

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Sie alle sind seit einigen Jahren unter besonderen Schutz gestellt, dessen sie vermutlich auch dringend bedurften. Wir haben und werden noch Tiki zu sehen bekommen, denen die Witterung stark zusetzt und die von Flechten überwuchert waren. Diese hier wurden vor einigen Jahren gereinigt und haben kleine Schutzdächer bekommen. Sie sehen sehr gepflegt aus. Henri, als gebürtiger Hiva Oaner, hat eine starke spirituelle Bindung an das Land, er beschreibt uns seine Empfindungen in Gegenwart der Götzenbilder. Nicht alle Tiki sind freundlich, manche haben eine bösartige Ausstrahlung. Er kann sie spüren und bittet uns nachdrücklich, insbesondere einen Tiki auf keinen Fall zu berühren, um das Bösen nicht aus dem Tal mit herauszunehmen. Ich frage mich nur, wer so mutig war, den bösen Tiki zu putzen und welche Auswirkungen das hatte und muß dabei an den Umgesiedelten Tiki von Tahiti denken, dessen vier Träger das allesamt mit dem Leben bezahlt haben.

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Ein kleines Lehrstück in Sachen Bildung liefert dann der letzte Tiki in der Reihe. Er liegt und erinnert ein bißchen an eine Sphinx. Auf seinem Sockel dann der Beweis, der Thor Heyerdal und viele andere Forscher glauben ließ, die Polynesier stammten aus dem heutigen Chile: Auf seinem Sockel ist tatsächlich ein Lama abgebildet.

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Auf dem Rückweg machen wir einen kurzen Stop bei Henris Onkel. Er ist Tiki-Schnitzer und natürlich würden wir ihm gern etwas abkaufen, aber leider ist er nicht vor Ort. Die Tiki, die er gerade bearbeitet, sind teils überlebensgroß und in allen Stadien der Fertigstellung. Es gibt auch ganz kleine, und es ist schade, daß wir jetzt nichts kaufen können.

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Wir können aber auch nicht warten, denn es beginnt bereits zu dämmern und Henri hat die strikte Anweisung, vor Einbruch der Nacht mit uns zurück in der Hanakee Lodge zu sein. Offenbar hat er großen Respekt vor Jean-Jacques, denn er nimmt das sehr ernst, deswegen fragen wir unterwegs auch nicht nach weiteren Fotostops, trotzdem uns die Fahrt im Sonnenuntergang noch an einigen schönen Stellen vorbeiführt.

Das war eine tolle Fahrt über eine Insel, die sich ihre Ungezähmtheit bis in die heutige Zeit bewahrt zu haben scheint. Und dabei haben wir nur einen winzigen Ausschnitt davon gesehen.

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Abends im Restaurant erscheint eine Mitarbeiterin, um die Bestellungen aufzunehmen und läßt uns zugleich wissen, daß der Beginn unseres Bootsausfluges morgen um eine halbe Stunde nach hinten verlegt worden sei und unsere Abfahrt mit dem Shuttle zum Hafen um eine halbe Stunde vor. Wir hätten eine Stunde, um das Gauguin-Museum und die Espace Brel zu besichtigen. Jean-Jacques hat es möglich gemacht, unfaßbar!
Jetzt freuen wir uns noch mehr auf morgen, denn da geht es nach Tahuata, die Schwesterinsel von Hiva Oa. Ein Stück Land, so unbekannt und unerschlossen, daß wir selbst eigentlich gar nicht richtig wissen, was uns da erwartet. Und das ist auch gut so, denn der Tag wird, zumindest für mich, doch um einiges aufregender, als ich es mir gewünscht hätte.

Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 17 Mär 2023 16:42
von Suse
Wir frühstücken zügig, denn wir wollen die Chance, die Jean-Jacques uns da ermöglicht hat, den Museumsbesuch in den engen Zeitplan zu quetschen, nicht ungenutzt lassen. Die Franzosen schließen sich uns an und damit ist die Museumsmitarbeiterin dann fast schon überfordert. Um die frühe Uhrzeit, sie hat ja noch nicht mal durchgewischt, das sei hier noch gar nicht sauber, und dann so viele Besucher auf einen Schlag. Es müssen umständlich Tickets per Hand geschrieben werden, aber dann dürfen wir hinein.

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Sie gibt uns sogar eine kurze Führung und wir schenken den Bildern die gebührende Aufmerksamkeit, auch wenn es alles Kopien sind.

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Nun wären die Originale hier in dem Haus traditioneller Bauweise nicht wirklich vor den Witterungseinflüssen und vor allem vor Raub geschützt, die Gemeinde hätte gut zu tun, auch finanziell, um das sicherzustellen. Trotzdem wäre es ja wünschenswert, daß wenigstens in Papeete ein Original hinge, aber das tut es auch nicht.

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Nach den Gauguin-Kopien schließt sich eine kleine Sammlung von Holzschnitzereien, Speere, Schalen und Tiki, an.

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Aber am interessantesten ist das Außengelände. Hier steht ein Nachbau des "Maison du Jouir", des Hauses der Freude, so wie Gauguin es bewohnt haben soll, drinnen lebensgroße Gauguin-Figur in seinem Atelier.

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Aus dem Fenster hing die Angel, deren Schnur unten im Brunnen endet, damit zog er seine Absinthflaschen aus der Kühlung heraus. All die Fundstücke aus dem Brunnen haben eine eigene kleine Vitrine bekommen. Der Brunnen ist original und anhand alter Pläne konnte man daher auch feststellen, wo das Haus einmal gestanden hat.

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Das ganze Gauguin-Museum ist somit um den Standort des Hauses gruppiert.

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Brel wohnte weiter oben am Berg, etwas unterhalb des Friedhofes. Aber auch er hat einen Bezug zum Ort, hier, zwischen Museum und Strand, betrieb er ein Freilichtkino für die Einheimischen. Dort steht heute der Hangar, in dem das nach seinem Tod lange vernachlässigte Flugzeug, Jojo, ausgestellt ist.

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Brel, der passionierter Pilot war, unterstützte die Inselbevölkerung aktiv, indem er Kranke zur Behandlung auf andere Inseln flog und bei der Versorgung per Flugzeug half. Nicht zuletzt deshalb genießt er bei den Menschen auf Hiva Oa bis heute große Anerkennung. Das Flugzeug selbst stand viele Jahre vergessen neben dem Rollfeld des Flughafens von Hiva Oa, bis sich die lokale Feuerwehr eines Tages seiner annahm, indem sie es als Brandschutzübung anzündete. Das brachte die Fans des Sängers schließlich so auf die Palme, daß sich eine Gruppe gut Betuchter zusammentat, Jojo kaufte und restaurierte.

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Der Hangar ist nur wenig größer als das Flugzeug selbst, an den Wänden ein par Brel-Ausstellungsstücke, vor allem Bilder. Im Hintergrund läuft dezente Musik, natürlich Chansons von Brel, in Endlosschleife.

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Wir halten uns ein Weilchen hier auf und lassen die Atmosphäre auf uns wirken. Eigentlich hat Brel für uns als Deutsche kaum eine wirkliche Bedeutung, aber die Geschichte des Sängers als Wahl-Marquesianer, seinen Einsatz für die Bevölkerung finde ich schon beeindruckend. Wir tippen Jojo zum Abschied an die Rotorblätter und dann geht es los zum Hafen. Atuona ist inzwischen zum Leben erwacht.

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Im Hafen erwartet uns ein Fischerboot. An Bord bereits ein paar Gäste und eine vierköpfige Besatzung, zwei Jungs und zwei Mädels, die letzteren haben es sich auf dem Dach bequem gemacht. Das Boot ist so viel niedriger als die Kaimauer, daß wir mit einem großen Schritt auf die Bordkante hinuntersteigen müssen. Das ist schon mal der erste Balanceakt für mich, solche Sachen hasse ich wie die Pest und mir schwant schon, daß das hier abenteuerlich wird.

Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 18 Mär 2023 18:45
von Pico
Das sind echt fesselnde Details die ihr da berichtet, liest sich wirklich wie ein Reiseroman!

Und die tollen Fotos, von traumhaft schön bis spannend dokumentiert.

:D :D :D :D :D :D

Re: Motus, Muscheln, Menschenfresser - Zwei Monate in Französisch Polynesien

Verfasst: 19 Mär 2023 07:59
von knuffi
Pico hat geschrieben: 18 Mär 2023 18:45 Das sind echt fesselnde Details die ihr da berichtet, liest sich wirklich wie ein Reiseroman!

Und die tollen Fotos, von traumhaft schön bis spannend dokumentiert.

:D :D :D
Dem kann ich mir nur anschließen!! :D