Daß ich hier, an diesem verwunschenen Ort hoch in den Bergen hinter der Anse aux Pins, gelandet bin, ist das Ende einer langen Vorbereitungszeit voller Planungen und der Beginn aufregender Erlebnisse. Manche aufregender, als ich es mir gewünscht hätte.
Am Ende meines letzten Reiseberichts von 2011 hatte ich geschrieben, wir wären uns sicher, daß wir wieder zurückkehren würden auf die Seychellen. Für mich hatte sich an diesem Wunsch nichts geändert, und Mahé war mein vorrangiges Ziel. Von dieser Insel kannte ich bislang nichts außer Victoria, der Jetty und dem Flughafen, und ich war mir sicher, daß es drumherum doch so einiges geben würde, das mir gut gefallen könnte. Als sich 2016 Angebote ergaben, privat unterzukommen, auf Mahé ebenso wie auf La Digue, fragte ich mich: Wann dann, wenn nicht jetzt?
Die grobe Reiseplanung wurde erstellt, eine Woche Mahé, eine Woche La Digue, vorweg ein paar Tage Paris bei Verwandten. Entsprechende Flüge wurden gebucht. Wer konnte sagen, ob und wann ich danach nochmals auf die Inseln fliegen würde, ich konnte ja selbst kaum einschätzen, wie ich die Veränderungen dort empfinden würde. Also noch einmal das ganze Paket mitnehmen, Flying the Creole Spirit mußte es sein. Günstige Zubringerflüge ab Berlin und retour mit Air Berlin waren auch schnell gefunden, lange bevor von einer Insolvenz gesprochen wurde…
Der Umstand, daß ich bei der Ausgestaltung des Aufenthalts also auf niemandes Interessen Rücksicht nehmen mußte als auf meine eigenen, und natürlich auch ich hier im Forum und in anderen Medien vieles gelesen hatte, das mich Zweifel haben ließ, ob die Seychellen zukünftig noch ein Ort für mich sein würden, erzeugte eine seltsame Art von Leistungsdruck. Ich hatte das Gefühl, so viel wie möglich mitnehmen zu müssen, wer konnte sagen, ob einiges bei einer zukünftigen Reise, sollte es denn eine geben, noch möglich oder überhaupt besuchenswert sein würde, so rasch und grundlegend, wie die Seychellen sich aktuell gerade zu verändern scheinen. Nachdem ich Unzähliges geplant, verworfen und neu eruiert hatte, kam Chris Feares Buch heraus, ich las es, verwarf einige meiner Planungen erneut und plante dafür wiederum anderes ein. Am Ende gab es eine kleine Aufzählung von Unternehmungen und Besuchen, die absolutes Muss waren, und der Rest? Sich treiben lassen. Einfach abwarten, wie die Dinge sich entwickeln und mitnehmen, was sich ergeben würde.
Hilfreich waren bei der Planung unter anderem einige Reiseberichte im Forum, vor allem von Daywalker und Wildgartenhexe. Den Reisebericht von FotoK10-Jürgen, den ich schon mehrmals gelesen hatte, hätte ich aufmerksamer lesen sollen, rückblickend waren dort einige Informationen verborgen, die mir Ärger erspart hätten. Was die grundlegenden Verhältnisse auf den Seychellen anbetrifft, sind viele Reiseberichte doch zeitlos.
Daheim herrschte vor allem Besorgnis, spätestens als ich mich gegen das Bus- und für das Autofahren entschied. Um das Linksfahren sorgte ich selbst mich dabei weniger. Ich traute mir allerdings ohne weiteres zu, daß in engen, von Granit gesäumten Straßen, in einem Auto, mit dessen Abmessungen ich nicht vertraut wäre, an meinem Mietwagen womöglich nicht alles frei von Kratzern bleiben würde.
Der Autovermietervergleich ergab ein erschreckend dürftiges Angebot von Automatikfahrzeugen bei gleichzeitig erschreckend ungünstigen Vertragsbedingungen mit horrend hoher Selbstbeteiligung im Schadensfall, wie ich es noch in keinem anderen Land erlebt hatte. Im Oktober sind die Inseln eben voll und ich war zu spät dran mit meiner Entscheidung. Mit Automatik hatte ich so gut wie keine Erfahrung, aber zusätzlich zu allem anderen auch noch mit der linken Hand schalten? Auf gar keinen Fall! Fündig wurde ich bei Sixt, zwar schon teurer als die anderen, aber mit der Möglichkeit, den Damage Waiver auf ein Minimum von 200 Euro herabzusetzen.
Während ich also plante, bemühten sich die Fluggesellschaften nach Kräften, das Reisefieber zu schüren. Zunächst meldete sich Air Seychelles mit einer Streichung von Flugtagen. Weder in die eine noch in die andere Richtung war ich betroffen. Glück gehabt. Danach meldete Air Berlin Insolvenz an. Langstreckenflüge wurden im September eingestellt, für die Kurzstrecken gab es einen Kredit vom Bund, die Flüge sollten bis November gesichert sein. Wieder Glück gehabt. So dachte ich zumindest.
Die angebotene Unterkunft auf Mahé geriet ebenfalls ins Wanken. Die Angaben, wann das Gästezimmer fertig würde, wurden vager. Nach einigen zwischenmenschlichen Erfahrungen mit dem kreolischen und vor allem dem créolischen Gemüt im Laufe des Lebens hatte ich schon gelernt, daß schlechte Nachrichten ungern direkt ausgesprochen werden. So las ich zwischen den Zeilen die Botschaft heraus, daß ich mich vielleicht doch besser um eine Alternative bemühen sollte. Wo nun also unterkommen, ohne der abendlichen Vereinsamung als Alleinreisende anheimzufallen? Die Suche nach einer anderen Unterkunft mit einem gewissen Geselligkeitsfaktor, wie ich es aus dem Calou kannte, würde sich auf Mauritius oder der Réunion einfach gestalten, auf den Seychellen jedoch hat die Tradition des „Table d’hôte“ nie richtig Fuß gefaßt. Die Suche nach einem solchen Gästehaus hatte mich vor vielen Jahren ursprünglich auch hier ins Forum, nur leider zu keinem Ergebnis geführt, aber nach einigem Recherchieren glaubte ich, einen Sucherfolg gelandet zu haben.
So wurden Emails, Whatsapp und SMS geschrieben, Telefonate geführt und Mitbringsel in den Koffer gestopft. Es machte Spaß, war aber auch stressig und irgendwann endlich alles in trockenen Tüchern. Nicht lange vor dem Abflug stand ich auf dem abendlichen Heimweg an der Ampel und betrachtete die aufrecht stehende Mondsichel. Nur noch wenige Tage, dann würde sie halbschräg wie eine Schale auf dem Rücken liegen, während die Geckos schmatzend um die Wandbeleuchtung laufen. Und ich begann, mich wie närrisch auf die Reise zu freuen.
Mein Mann verabschiedet mich mit erneut aufkeimender Besorgnis, zu den Tücken des Straßenverkehrs hat sich nun auch noch die Bedrohung durch den Pestausbruch in Madagaskar gesellt. Vielleicht aber auch mit einer winzigen Portion Neid: Vor wenigen Wochen wurde die erste öffentliche Slot Car Rennanlage auf den Seychellen eröffnet…
http://www.seychellesnewsagency.com/art ... Seychelles
In Frankreich angekommen, wo, ähnlich wie in Deutschland, der Chantallismus seit einigen Jahren durch die zunehmende Verwendung alter Vornamen abgelöst wird, stoßen meine Seychellenpläne auf Begeisterung, als ich erzähle, auf Mahé bei einem Mann namens Erwan zu wohnen. Erwan ist ein traditioneller bretonischer Vorname und einer der Enkel meines Onkels, noch ein kleiner Junge, wurde so getauft. Wieso denn ein Bretone auf den Seychellen ein Gästehaus betreibe, und was ich denn dort zu essen bekommen würde? Ob der denn dann überhaupt kreolisch kochen könne? Das weiß ich, ehrlich gesagt, zu dem Zeitpunkt selbst nicht so genau. Das Gästehaus ist ein kleines bißchen wie eine Wundertüte. Manchmal ist es ja gut, vorab nicht zu viel zu wissen und keine spezifischen Erwartungen zu haben.
Die Wetteraussichten sind schon mal schön!

Das Wiedersehen mit Air Seychelles wird genau aus diesem Grund nämlich zu einer Enttäuschung. Abgesehen von den miesepetrigen Stewardessen auf meinem ersten Flug mit dieser Gesellschaft, hatte ich vieles in schöner, vielleicht etwas idealisierter Erinnerung behalten. Gutes Essen, ein kleines Fläschchen Takamaka dazu, dann diese liebevoll von einem einheimischen Künstler gestalteten Papiersets auf den Tabletts, die von mir umgehend eingesteckt und später zur Verschönerung der Umschlagseiten des Fotoalbums verwendet wurden.
Die Maschine ist, wie beim letzten Mal, die Vallée de Mai. Diesen Namenszug am Bug fand ich immer schon schön, es strahlt so viel Exotik aus und auch viel Stolz auf das eigene Land. Erinnert aber auch daran, daß es sich immer noch um die gleiche Maschine handelt, mit der man vor 10 Jahren schon geflogen ist…

Wenn es bei der sterbenden Air Berlin vor ein paar Tagen zum Abschied schon kein Schokoherz mehr gab, so gibt es hier inzwischen keinen Takamaka mehr, keine liebevoll mit Aquarellmalereien gestalteten Platzsets und vor allem: Keine Heizung. Die Innentemperatur entspricht gefühlt der draußen vor dem Fenster in zehntausend Meter Höhe. Die Maschine ist halb leer, so daß alle Passagiere, die ich von meinem Platz aus sehen kann, sich von den freien Plätzen rechts und links die ungenutzten Kissen und Decken nehmen.
Der CDG bleibt unter uns zurück:

Am nächsten Morgen betrachte ich unter zwei Decken bibbernd, wie unter uns North und Silhouette vorbeiziehen,

dann die große Schleife, die der Pilot über dem St. Anne Marine Park dreht.

Schließlich reihe ich mich ein in die lange Reihe der Passagiere, die mit graugrünen Gesichtern und steif gefroren wie Walking Dead-Statisten nach draußen stakst, und die schwüle Hitze trifft mich wie ein Schlag.
Das lange Anstehen bei der Border Control ist ein echter Kreislaufkiller nach zehn Stunden in dem fliegenden Gefrierschrank namens Vallée de Mai. Warum das nicht voran geht, wird irgendwann klar, als eine Zettel verteilende Person auftaucht. Einige der Mitreisenden murren, sie hätten im Flugzeug bereits die Einfuhrerklärungen ausgefüllt. Nein, wird ausweichend geantwortet, hierbei handele es sich um etwas anderes, das zusätzlich auszufüllen sei. Viele scheinen um die Pest-Problematik nicht zu wissen, die Fragen werden um mich herum halblaut vorgelesen und aufgeregt und verwirrt kommentiert. Während wir mühselig in der Schlange stehend unsere Angaben hinkrakeln und dabei mangels Schreibunterlage mit dem Kugelschreiber Löcher in den Fragebogen pieken, baut sich hinter einem Tresen eine kleine Schar von medizinischem Personal auf und rückt jedem Einreisenden mit einem Infrarotthermometer zu Leibe. Bei manchen werden Lymphknoten abgetastet, ein Paar wird aus dem Raum geführt. Ich vermute, dass es sich dabei um diejenigen handelt, die auf dem Fragebogen ehrliche Angaben zu Halskratzen und Schwächegefühl gemacht haben. Vielleicht hat ja tatsächlich auch jemand aus einem anderen Grund zufällig Fieber. Wenn ich auch genervt bin von der langen Ansteherei, finde ich die Aktion dennoch richtig. Mit der Pest ist nicht zu spaßen, das ist eine andere Hausnummer als Dengue. Meine Temperatur ist in Ordnung, ich darf ohne weiteres einreisen und bekomme einen Schalter weiter meinen Coco Fesses-Stempel in den Paß. Ich bin da.