Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

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derrohrleger
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von derrohrleger »

Hallo Suse,

Dein Reisebericht liest sich super und ich freue mich auf noch mehr.

Wann genau warst du auf den Seychellen ?

Beste Grüsse

derrohrleger :D
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Pico
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Pico »

Danke, dass du uns so lebhaft und leidenschaftlich an deiner Reise - mit allen Höhen und Tiefen - teilhaben lässt, Suse.

Klasse die Infos über Chichi und ihr kleinen und großen Freunde. Da muss ich auch hin!!!
Dürfte jetzt ja vielleicht etwas mehr Besucher anlocken. :wink:

Ach, und das Osterei habe ich auch gefunden. Na, ob ich das mal schaffe? Hört sich verlockend an.

Danke und - weiter so! :bounce:
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ronjalynn
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von ronjalynn »

Dankeschön Suse für deine höchst interessanten Beiträge!

Durch die Torti Soupap bringst du gerade unseren eigentlich nur einzigen Tag auf Mahe nächstes Jahr durcheinander......

Eine tolle Organisation.

Freue mich schon auf deine Fortsetzung!

Liebe Grüße
Kendra
Lache nicht über jemanden, der einen Schritt zurück macht.
Er könnte Anlauf nehmen.
cptbwa
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von cptbwa »

sehr interessant und spannend Dein Bericht! Vielen Dank!
Viele Grüße
Tom
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Suse
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Suse »

Vielen Dank für die netten Rückmeldungen. Freut mich, wenn Ihr Spaß beim lesen habt.

derrohrleger hat geschrieben: Wann genau warst du auf den Seychellen ?
Jetzt gerade, von Mitte bis Ende Oktober 2017.

Gruß,

Suse
Wenn du keine Kokosmilch hast, machste einfach normales Wasser.
- Grubi -

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Suse
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Suse »

Gut ausgeschlafen geht es am nächsten Morgen früh los. Die beiden Franzosen verabschieden sich ebenfalls gerade, als ich mein Frühstück verputze und mich zügig auf den Weg mache.

Die Fahrt über Mont Fleuri zieht sich gewaltig, bis ich auf die Sans Soucis Road abbiege, da bin ich dann aber wieder fast allein, kein von hinten nachdrängender Verkehr hetzt mich um die Kurven und ich kann gemütlich vorantuckern und den Blick rechts und links schweifen lassen. Mit Erstaunen entdecke ich am Waldrand großen Exemplare Angiopteris, damit hätte ich so weit unten nicht gerechnet, sondern erst später, weiter oben auf dem Morne Blanc Trail. Cyatheen, also richtige Baumfarne, sehe ich weder hier noch später.

Die Copolia Lodge ist nicht zu übersehen, aber wo soll denn hier der Parkplatz sein? Alles was ich sehe, ist ein schmaler Randstreifen aus Rasen entlang einer Mauer, das wird doch wohl nicht gemeint sein? Vielleicht erst dahinter, denke ich, und fahre weiter. Das übliche. Ich fahre, nirgendwo ein Platz zum Anhalten, Parken oder Wenden und ehe ich es mich versehe, bin ich viel zu weit entfernt, als daß ich jetzt noch zurücklaufen wollen würde. Also erstmal weiter voran bis zur Mission Lodge, die kann man bei der Gelegenheit ja gleich mitnehmen.

Dort angekommen fahren gerade mehrere Guides mit ihren Grüppchen von dannen und ich bin allein mit den farnüberwachsenen Ruinen der ehemaligen Venn’s Town.

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Adiantum wächst auf den Mauern und ich mache viele Fotos.

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Auf der Hinweistafel, die die Geschichte von Venn’s Town erklärt, das Gemälde von Marianne North.

https://www.kew.org/mng/gallery/480.html

Wo sie gestanden haben muß, als sie Venn’s Town skizzierte, würde ich gern wissen, denn da sind zahlreiche Cyatheen ins Bild gemalt, die ich eigentlich nur hoch oben um den Morne Seychellois vermuten würde, wo selbst heute nur wenige Guides die kaum vorhandenen Wege kennen und wo ich mir eine viktorianische Dame mit Korsett und Krinoline kaum vorstellen kann. Bei Marianne North tendiere ich aber dazu, es nicht für künstlerische Freiheit zu halten. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich aber auch noch nicht, in welcher Kleidung manche Menschen auf Mahé in die Berge wandern...

Die Mission Lodge selbst ist ebenfalls verlassen. Die Drachenblutbaumallee verdient diesen Namen kaum noch, da die meisten der Bäume gefällt werden mußten.

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Anstelle dessen hat man eine Art Arboretum aus verschiedenen Nutzhölzern angelegt, das die Allee ein bißchen ersetzt und auch sehr schön ist. Hier ein Palmiste:

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Die Bänke unter dem Sonnendach der Mission Lodge sehen aus, als seien es noch die selben, auf denen Elisabeth schon ihren Tee eingenommen hat, und ich lasse mich für eine Weile vorsichtig darauf nieder und genieße die Aussicht.

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Aber nicht für lange, ich habe noch einen weiten Weg vor mir.


Zurück am Ausgangspunkt des Copolia Trails entscheide ich mich dafür, den Rasenstreifen am rechten Straßenrand als Parkplatz zu akzeptieren und stelle den Kia dort ab. Ich bin gut vorbereitet, wer nicht gut klettern kann, muß umso bessere Schuhe haben, also quetsche ich meine Füße in meine alten Wanderstiefel, schultere meinen Rucksack voller Getränke und Sonnenschutz in verschiedener Form, und auf geht’s.

Am Beginn des Pfades ein kleiner Regenschutz, unter dem sonst wohl Polizisten den Einstieg in den Wald bewachen, ein paar Klappstühle stehen herum, auf denen heute aber niemand sitzt. Zum Einstieg geht es täuschend leicht bergab, das ändert sich aber rasch.

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Wie ich erwartet habe, bin ich mit dem Schwierigkeitsgrad des Weges an sich nicht überfordert, man muß nicht wirklich rutschige Hänge hochklettern oder an steilen Abbruchkanten entlangbalancieren, der Weg ist zum weitaus überwiegenden Teil ein Klettersteig mit natürlichen oder künstlich angelegten Stufen, die durch Wurzeln oder kleine Holzbretter gestützt werden, an einigen Stellen muß man sich durch Granit quetschen, gelegentlich kommt eine Stelle, an der man ein paar erholsame Meter einfach nur auf ebener Strecke gerade aus geht, mehrere kleine Brücken sind zu überqueren.

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Die Luftfeuchtigkeit ist enorm, es ist trotz des sonnigen Tages hier im Wald düster, aber das ist angenehm, denn anstrengend ist es schon genug. So motiviert wie ich losgegangen bin, geht mir aber doch irgendwann die Puste aus, vor allem die teilweise hohen Stufen sind für Menschen mit kurzen Beinen jedesmal ein kleiner Kraftakt. 40 Minuten, darin sind sich die meisten Reiseführer einig, benötige man so im Durchschnitt für eine Strecke. Nach 40 Minuten glaube ich, wohl mehr als die Hälfte geschafft zu haben, und schneller werde ich jetzt nicht mehr. Aber wo ein Wille ist, da ist auch eine Kannenpflanze, und ich beglückwünsche mich zu dem Entschluß, ohne Guide zu gehen, mit dem ich nämlich länger gerungen habe. Gerade hier im Norden Mahés hielt ich das über lange Zeit für nicht empfehlenswert, und so habe auch ich zunächst versucht, zwei mir geeignet erscheinende Guides zu kontaktieren. Während die Antworten auf sich warten ließen (und dies bis heute tun), überwog irgendwann Gefühl, daß ich diese Strecke auch allein würde gehen und dies vielleicht sogar mehr würde genießen können, und so beschloß ich, das Risiko einzugehen. Je länger der Weg dauert, desto mehr beglückwünsche ich mich zu dieser Entscheidung. Die Vorstellung von einem fitten Guide, der alle paar Meter genervt auf einem Stein sitzend darauf warten muß, daß ich genügend zu Atem gekommen bin, um die nächsten 20 Stufen in Angriff zu nehmen, stresst mich schon in der Phantasie!

Nach einer guten Stunde ist dann auch ein Fitnessmonster wie ich oben angekommen, und nach etwas Herumsucherei finde ich die Leiter, die auf das Plateau führt. Dann bin ich oben und schaue mich um. Ein Guide macht gerade den Erklärbären, dann verschwindet die kleine Gruppe und ich bin wieder einmal allein. Herrlich. Das gesamte Granitplateau gehört mir, unfaßbar!

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Da unten liegt Victoria, rechts von mir der häßliche Khalifenpalast, hoffentlich hat er jeden Tag Wolken um sein Haus herum!

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Hubschrauber der ZilAir und kleine Islandhopper von Air Seychelles brummen über dem Marine Park durch die Luft. Das alles scheint ganz weit weg, viel weiter als nur die Luftlinie. Dort das moderne Leben, die Zivilisation, hier diese seltsame wie aus Zeit und Raum gefallene Ebene voller Karnivoren.
Zuletzt geändert von Suse am 14 Nov 2017 07:54, insgesamt 1-mal geändert.
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Suse
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Suse »

Links der Morne Seychellois, ebenfalls wolkenverhüllt.

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Und hier der Morne Copolia, eine Sonneninsel im Nebelwald, und ganz allein darauf ich! Ich kann mein Glück kaum fassen, laufe bis zur Kante

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und wieder zurück, finde Kannenpflanzen, hier

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da, dort, und da hinten noch mehr!

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Es gibt sie in blaßgelb bis dunkelrot, manche haben kleine Babys dabei,

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andere sind alt und haben schon ihre Deckel verloren.

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Ich mache Fotos, laufe bis zu den aufgehäuften Steinkegeln und drehe mit dem Iphone eine kleine Blair Witch-Parodie, allerdings ohne mich selbst mit laufender Nase zu filmen. Ach, ist das herrlich! Auf einer freien Fläche hat jemand aus Steinen das Wort Amore gebildet.

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Oh ja, das ist hier bei mir auch gerade Liebe auf den ersten Blick. Die Kannenpflanzen sind viel kleiner, als ich sie mir vorgestellt habe, nicht so riesig wie die asiatischen, die man manchmal in Pflanzengeschäften bekommt! Ich finde sie genauso süß wie Chichi gestern.

Schließlich, nachdem ich meinen seltsamen Euphorieflash, für den die notwendige Energie von wasweißichwoher gekommen sein muß, hinter mir habe, und auf dem Plateau immer noch allein bin, ist es Zeit für eine anspruchsvolle Yogaübung, Schildkröte in Winterstarre lautet sie und ich kann sie eine ganze Weile durchhalten. Ich strecke mich der Länge nach auf dem Granit aus, ein kühles Lüftchen trocknet den Schweiß und viel Seypearl Bitter Lemon tut den Rest. Mann, bin ich stolz auf mich!

Irgendwann kommen Menschen, die meisten ohne Guide, kleine Gruppen, und sie wirken erschreckend fit im Vergleich zu mir. Sie stören mich, das ist alles meins hier, seit mindestens einer Stunde. Haut gefälligst ab! Aber natürlich gehen sie nicht, sie sind genauso begeistert wie ich, viele haben aufwändiges Fotoequipment dabei, aber meist regiert der Selfie-Stick und die meisten bleiben auch vorn an der Kante. Manche entdecken die Kannenpflanzen per Zufall, andere gar nicht und suchen auch nicht danach.

Ich bleibe so lange wie ich es wage oben auf dem Plateau, ohne in die Dämmerung zu geraten, denn weder möchte ich im Dunklen Auto fahren geschweige denn im Wald übernachten müssen. Der Abstieg gestaltet sich etwas weniger anstrengend, aber nicht weniger belastend für Muskeln und Gelenke. Einige wenige Stufen überwinde ich aufgrund Schräge und losen Gerölls auf dem Hintern hinunterrutschend, sicher ist sicher, schließlich bin ich allein und niemand hält mich, wenn ich ins Rutschen komme und bis zur Sans Soucis Road durchsause.
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Suse
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Suse »

Nicht nur mit Rücksicht auf meine Kniegelenke mache ich viele Pausen, sondern auch, um jetzt, wo ich die Kannenpflanzen gehabt habe und auf dem Rückweg bin, etwas genauer zu studieren, das ich auf dem Hinweg aus Zeitdruck zunächst links habe liegen lassen. Auch hier im Wald habe ich, genau wie zuvor an der Straße, Angiopteris madagascariensis entdeckt. Hier, entlang des Trails und auch tiefer im Wald wächst er in größeren Gruppen, es sind gewaltige Exemplare darunter.

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Angiopteris, Königsfarn, gehört zu meinen Lieblingsfarnen, er bildet, anders als echte Baumfarne, keinen Stamm, die gewaltigen, mehrere Meter langen langen Wedel entspringen aus einer kleinen Knolle.

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Erst kürzlich wurden weit oben in den Nebelwäldern des Gongo Rouge zwei Subspezies entdeckt, die nach dem bereits erwähnten Victorin Laboudallon und seinem Kollegen Lindsay Chong-Seng benannt wurden, und die in natura auf den Seychellen zu sehen wohl richtig erfahrenen Bergwanderern vorbehalten bleiben wird. In die Nebelwälder des Gongo Rouge Touristen zu führen, ist nicht ohne Grund nur wenigen Guides vorbehalten.

http://www.pcaseychelles.org/new-fern-species.html

Diese beiden Spezies sind jedoch sowieso nur von Botanikern voneinander und von der weniger seltenen Madagaskar-Spezies zu unterscheiden, so daß es mir, als interessiertem Laien ohne tiefergehende botanische Kenntnisse, ohnehin gleich sein kann, welche Art genau ich hier jetzt vor mir sehe.
Während ich mir auf dem Hinweg die Zeit nicht nehmen wollte, bleibe ich jetzt bei jedem schönen Exemplar stehen, fotografiere und genießen den Anblick. Ich hatte eigentlich nicht erwartet, so weit unten solche Mengen dieser feuchtigkeitsliebenden Pflanzen vorzufinden, sondern erst auf dem Morne Blanc Trail damit gerechnet.

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Schon recht weit unten auf dem Weg, bereits kurz vor dem Austritt auf die Sans Soucis Road, gesellen sich Fächer- und verschiedene epiphytische Farne dazu, gerade hier unten ist der ja Tropenwald besonders üppig.

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Ich suche mir einen Sitzplatz neben einem großen Granitblock und beobachte ein paar Tropikvögel, die zeternd durch die Baumkronen flattern. Diese uralten Pflanzen und der Granit, das ist, wie eine Mücke im Bernstein zu betrachten, wie ein Fenster in die Evolution.

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Wie kurz die eigene Lebensspanne im Vergleich dazu ist. Ich genieße den Anblick ganz bewußt, denn was meine Oberschenkelmuskulatur mir zuraunt, klingt nicht so, als hätte sie in absehbarer Zeit noch besondere Lust auf eine Wanderung auf dem Morne Blanc Trail. Mir dämmert, vielleicht werde ich auf diese Reise keinen weiteren Angiopteris sehen.

Aus meinen Träumereien werde ich durch den wohl skurrilsten Anblick gerissen, der sich einem auf dem Copolia Trail bieten kann. Um den Granit herum kommt in flottem Marschtempo ein junger Mann gewandert, in der Hand eine pinkfarbene Tortentransportbox, durch deren halbdurchsichtigen Deckel ich eckige Teilchen erkennen kann, entweder Sushi, oder vielleicht Petit Fours.Dahinter eine junge Frau, über dem Arm ein rotkäppchentaugliches Körbchen, den Inhalt passend mit einem karierten Geschirrtuch bedeckt. Mit etwas Abstand dann ein keuchender Mann, über jedem Arm eine schwere schwarze Schultertasche, die ihm bis zu den Knien hängt, der den beiden folgt. Während ich noch mit offenstehendem Mund dämlich hinter der Gesellschaft herglotze und mich frage, ob ich mich mit dieser Wanderung vielleicht in geistiger Hinsicht überfordert habe, nähern sich hinter dem Granit schon wieder Schritte und ich wäre nicht erstaunt, wenn jetzt das Kaninchen mit der Taschenuhr käme.

Statt dessen ein muskulöser junger Mann mit Baseballkappe und Trägershirt, der mir im Vorbeigehen etwas Russisches zuruft. Das Highlight folgt, wie es sich gehört, am Schluß: Eine zierliche junge Frau, mit langem schwarzem Haar, mehr ent- als verhüllt in einem schwarzen Bikini unter einem schwarzen Netzkleid. Ihre Rückenansicht, die nun an mir vorbei nach oben schwebt, bietet einen erstaunlichen Anblick.

Das Quintett ist kaum außer Sichtweite, als eine Frauenstimme zu schimpfen anhebt. Vielleicht, denke ich, ist das ja eine Geburtstagsfeier für eine russische Oligarchin, die jetzt erst realisiert, auf was sie sich eingelassen hat und wie unpassend sie gekleidet ist. Bestimmt werden sie das gleich abbrechen und zurückkommen, dem Mann mit den zwei schweren schwarzen Taschen würde ich es wünschen, der schafft das mit dem Gepäck niemals bis nach ganz oben. Die Stimmen werden lauter, es klingt, als sei jetzt heftiger Streit ausgebrochen, aber das mag täuschen, Russisch klingt ja oft, als wäre gerade Streit. Zurück kommt niemand, lediglich nach einer Weile zwei junge Frauen, die ich bereits oben auf dem Granitplateau getroffen habe.
Wir unterhalten uns kurz und beglückwünschen uns gegenseitig zu unserer Leistung und sie erzählen mir, oben im Wald werde ein Film gedreht, man baue gerade das Equipment auf. Mir geht ein Kronleuchter auf. Als mich das Filmteam später am Auto, während ich meine Socken auswringe, wieder einholt, und Muskelmann im Trägershirt sich den Schweiß von der Stirn wischt, frage ich mich, welche Art von Leistung er wohl gerade da oben im Wald vollbracht hat. Anspruchsvolle Dialoge werden es vielleicht nicht gewesen sein.

Am Abend zurück im Triskell mache ich dann das vermutlich Verrückteste, das man auf einer Tropenreise machen kann: Ich nehme ein stundenlanges heißes Bad. Im Wasser dösend erdenke ich Haikus. Und angefüllt von den Eindrücken des Tages gelingt mir eines, das ich sogar ausnahmsweise für vorzeigbar halte. Ich trau mich mal:

Insekten summen
im Kelch der Kannenpflanze
Ein Flugzeug landet
Zuletzt geändert von Suse am 05 Sep 2021 12:10, insgesamt 1-mal geändert.
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GerdG
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von GerdG »

Eigentlich hatte ich heute Abend was ganz anderes vor, fand deine Berichte aber so schön, dass ich sie in einem Rutsch zu Ende lesen musste.
Bin überrascht, dass du keine Botanikerin bist :-)
Vielen Dank!
Ich freue mich auf die Fortsetzung(en).
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Suse
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Suse »

Am nächsten Morgen wache ich auf und bewege vorsichtig ein Bein. Auftritt: Muskelkater des Todes! Heute muß definitiv etwas körperlich Anspruchsloses her, Geradeausgehen auf festem Untergrund zum Beispiel. Also Beau Vallon.

Ich verfahre mich einmal und lande in Bel Ombre, dann bin ich richtig und suche ewig nach einem Parkplatz, nicht wissend, daß hinter dem Markt ein riesiger ist, den man von der Straße aus nicht sehen kann. Einige Marktstände sind auf der Strandpromenade bereits aufgebaut.

Das ist übrigens "Leos Imbiß" :D

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Ich schlendere in bißchen auf und ab und führen mein Morne Copolia-Mitbringsel spazieren, einen peinlichen Touristensonnenbrand, der über die Schienbeine exakt bis dahin reicht, wo gestern der Saum der Socken saß.
Mit einer Trinknuss mit Hibiskusblütendekoraton und einem Tütchen Kokosmark zum Knabbern setze ich mich auf die Mauer. Es wummert der Reggae. So übel finde ich das hier am Beau Vallon spontan gar nicht, der Strand ist verhältnismässig leer.

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Hinter mir überraschenderweise ein kleiner Muscle Beach. Die Geräte sehen aber etwas verrostet aus und es trainiert auch niemand.

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Ich wandere ein bißchen herum, bis zum nördlichen Ende des Strandes, wo viel Granit und wenige Menschen liegen.

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Das hatte ich mir alles schlimmer vorgestellt.

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Aber gebaut wird hier, und zwar nicht zu knapp. Große Baustellen ziehen sich bis in die Berghänge hinein.

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Das Jetski-Geschäft scheint hingegen nicht gut zu gehen, auf dem Wasser fahren auch keine:

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Manche der älteren Unterkünfte finde ich ganz hübsch, wie diese mit dem auf den Granit gebauten Balkon.

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Als der Markt sich zu füllen beginnt und die Takeaways öffnen, probiere ich einen Hühnerspiess. Schmeckt gut und ist günstig. Danach habe ich genug vom Beau Vallon und fahre gen Norden. Wenn ich schon hier bin, mache ich auch gleich die Nordumrundung, über den Norden Mahés hört man ohnehin so wenig, mal gucken, was es hier so gibt.

Überraschenderweise ist es hier auf den Straßen ebenso einsam wie im Süden, kein Auto vor mir, keines hinter mir. Es ist reichlich zugebaut, überall Hotels und Gästehäuser, dicht an dicht, aber kurz hinter Pointe Nord-Est passiere ich einen Strand, der mich zum Anhalten reizt. Laut Karte muß es die Anse Nord-Est sein, und sie wirkt auf mich ganz anders als jeder Seychellenstrand, den ich bis jetzt gesehen habe.

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Abgesehen von der Pointe Nord-Est ganz links von mir ist von hier aus, wo ich stehe, fast kein Granit zu sehen. Am Strand zahlreiche Kasuarinabäume, im Sand große, von Salzwasser und Sonne weiß gebleichte Stämme und Wurzeln. Der Strand ist schmal, die Flut kommt gerade herein, in der Nachmittagssonne ist die Luft ganz dunstig vor Gischt.

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Ich stehe eine Weile da, bis mir klar wird, was mir hier so gefällt. Es sieht aus wie zuhause, wie an der Ostsee. Wenn man nicht zu genau hinschaut, ist die Ähnlichkeit verblüffend. Außer mir ist hier niemand.

Ich fahre langsam weiter, ab hier geht es wieder nach Süden. Interessante Gegend hier, einmal komme ich an einer großen Wiesenfläche vorbei, auf der eine richtige kleine Rinderherde grast. So hatte ich mir das hier gar nicht vorgestellt.
An Victoria vorbei durch zahlreiche Kreisel, das geht wie geschnitten Brot. Linksfahren finde ich tatsächlich gar nicht schwierig, das ist genau wie Rechtsfahren, nur links halt. Dann der Highway. Hier darf man offiziell 80! Ich beschleunige auf unfaßbare 90, los geht die wilde Fahrt, das Haar weht im Wind, yee-haw! Danach ist dann Schluß mit schnellem Fahren, auch auf Mahé gibt es Pendlerverkehr und der Stau zieht sich bis zur Anse Royale. Hinzu kommen zahlreiche Fischverkaufsstände, die von den Einheimischen während der Heimfahrt schnell noch aufgesucht werden. Dazu wird spontan am Straßenrand mit eingeschaltetem Warnblinker gehalten, manchmal in zweiter Reihe, so daß die Wagen in den Gegenverkehr hinein umfahren werden müssen. Schneller werden wir dadurch natürlich alle nicht.

So passiere ich zum wiederholten Male den Dreh- und Angelpunkt seychellischen Nachtlebens auf Mahé, das Katiolo, schaue es mir heute aber zum ersten Mal richtig an, während ich in der Karawane des Berufsverkehrs langsam voranschleiche. Der Klub, der bei Einheimischen sehr beliebt ist, teilt sich das Gebäude mit einer Fleischerei. Wie lustig, denke ich, Fleischbeschau auf beiden Seiten, wer wohl die Idee hatte! Daß das Simon Esparon, der Eigentümer des Katiolo selbst, war, ein knapp 70jähriger Seychellois, werde ich wenige Tage später in der Zeitung lesen, denn das Katiolo wird bald Schlagzeilen machen. Zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich darüber amüsiere, hat der Eigentümer nur noch wenige Tage zu leben.

In der darauffolgenden Samstagnacht wird er in seinem Haus erschlagen aufgefunden werden, seine Frau überlebt den Überfall knapp. Das Verbrechen entfacht erneut die Diskussion über die auf den Seychellen herrschende Drogenproblematik mit allen damit einhergehenden Auswirkungen.
Zuletzt geändert von Suse am 15 Nov 2017 11:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Suse »

Noch zwei Tage bleiben mir auf Mahé, und ich hätte noch so viel vor! Ich war noch gar nicht in Victoria und möchte doch unbedingt in den Buchladen. Natasha fragt mich, ob ich denn gar nicht mal das Abenteuer Busfahren ausprobieren möchte. Stimmt, gerade für Victoria böte sich das an, in der verstopften Innenstadt, die ich so auch noch nicht kannte, habe ich ja heute Morgen erst gestanden.

Also mache ich mich am nächsten Morgen zu Fuß auf den Weg. Erst jetzt realisiere ich wirklich, wie steil der Weg hier herauf ist.

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Manche Details der Nachbarschaft wie die Parade der ethnischen Manneken-Pis nehme ich so auch zum ersten Mal wahr:

Die afrikanische Version auf der rechten Straßenseite darf noch zeigen, was sie hat,

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während man der asiatischen Variante gegenüber wohl aus Pietätsgründen den Wasserhahn abgeschlagen hat. Eine Tat, die ihren Zweck verfehlt, denn mit der somit sinnlos gewordenen Handhaltung sehen sie nun umso mehr aus wie kleine Triebtäter. :lol:

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Im Bus kommt neuer Muskelkater hinzu, diesmal in den Armen. Ich bin bisher mehrmals auf Praslin Bus gefahren und habe das Geschaukel auch mit den dortigen Straßenverhältnissen und vielen Kurven erklärt. Hier, wo es eigentlich fast nur geradeausgeht, ist es eher noch schlimmer. Wie der rast! Und wie der Bus kracht und ächzt! Gottseidank sind dort, wo ich einsteige, noch genügend Sitzplätze frei. Das im Stehen, na danke, auch so schon klammert sich jeder am Griff des Vordersitzes fest.

Ich fahre bis zum Terminus und mache mich dann auf in die Stadt. Einiges ist unverändert, die beiden hübschen Madagaskarpalmen am Anfang der Independence Avenue gibt es immer noch und sie sehen immer noch genauso gut aus. Aber dann: Da wo das Pirates Arms war, ein Bauzaun.

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Demolition in Progress, oh ja. Und der Scheich hat einen freien Blick in die Stadt.

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Das neue Gebäude, das sie hier errichten werden, ein High-Tech-Ungetüm mit Parkgarage und allem erdenklichen Schnickschnack, soll auch wieder ein Lokal enthalten, das erneut Pirates Arms heißen wird. Aber es wird nicht mehr das alte Pirates Arms sein, mit all seinem Charme. Man wird sich auch daran gewöhnen, wie an vieles anderes. Aber traurig ist es doch.

Noch gibt es genügend alte Bausubstanz, auf der rechten Seite der Francis Rachel-Street, in der der Verkehr sich inzwischen von einem bis zum anderen Ende staut, stehen noch einige Häuser aus kolonialer Zeit. Links die hohen Türme der Geschäftswelt, was sie beherbergen weiß ich nicht.

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Wie überall bleibt bei wachsender Bevölkerung und sich entwickelnder Wirtschaft nichts übrig, als in die Höhe zu bauen, wenn die knappen Landresdourcen nicht aufgefressen werden sollen. Und Hochhäuser müssen ja auch nicht zwingend häßlich sein, ich bin die letzte, die etwas gegen moderne Architektur hätte. Und überhaupt ist alles besser, als daß die Stadt sich langsam in die Berge und damit den Angiopteris frißt.

Als ich beim Kenwyn House ankomme und es leer vorfinde, bin ich dann aber doch entsetzt.

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Was war dieses Haus schön, als es noch den Souvenirshop beherbergte, der laut Schild jetzt irgendwo ans andere Ende der Stadt gezogen ist. Der Shop ist ohne das Kenwyn House für mich uninteressant. Aber was wohl aus dem Haus werden wird? Vor einiger Zeit habe ich gelesen, daß einige Eigentümer alter kolonialer Häuser den Staat um Zuschüsse für die enormen Unterhaltskosten gebeten haben. Auch die Nachkommen von Kantilal Jivan Shah gehören dazu, deren buntes Eckgebäude an der Market Street wohl auch renovierungsbedürftig ist.

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Der aktuelle Eigentümer kündigte an, das Haus gegebenenfalls abzureißen und durch ein modernes Gebäude zu ersetzen, wenn er keine Unterstützung bekäme. Wundern tut mich das nicht, die Kosten müssen enorm sein.


Der Markt ist unverändert, aber drumherum steppt der Bär. Überall wird gebaut, nebenan ein massives chinesisches Gebäude, Natasha vermutet abends, daß es ein Restaurant und Geschäftshaus wird.

Souvenirs, Souvenirs:

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Gegenüber des Hindutempel der Chanterelle Bookshop. Hier halte ich mich lange auf, endlich einmal durch all die Seychellenromane blättern, die ich ohne freundliche Unterstützung aus England wohl von Deutschland aus nie bekommen hätte, und kaufe auch etwas, einen hübschen kleinen Band mit Zeichnungen von Ron Gerlach. Wer hätte gedacht, daß der Mann auch Künstler war!

Zu Mittag esse ich in einem Takeaway und futtere auf der Mauer zwischen den Taxifahrern und Sekretärinnen sitzend. Das Essen, ein Kürbispürree mit Linsen und Reis schmeckt gut, aber vegetarisch geht bei den Takeaways für mich auch eher als das entweder fettige oder knochige Fleisch. Von meinem Sitzplatz aus habe ich einen guten Blick auf die Kreuzung mit inzwischen drei Ampeln. Das Verkehrsaufkommen ist enorm, nicht nur hier, überall in der Stadt.

An einem Gebäude habe ich bereits am Vortag auf dem Weg zum Beau Vallon im Stau stehend aus dem Auto heraus ein kleines Schild mit der Aufschrift „Museum of Spices“ entdeckt, das klingt interessant, das gehe ich jetzt suchen. Aus der Nähe betrachtet, sieht das Schild sehr alt und abgeblättert aus und ein solches Museum finde ich dann auch nicht. Ein Passant, den ich danach frage, weiß ebenfalls nichts davon, schade. Aber von hier, wo ich jetzt stehe, hat man einen unverbauten Blick auf die Moschee. Schleunigst weg hier.

Das alte Unabhängigkeitsdenkmal ist vor ein paar Jahren durch ein Werk von Tom Bowers ersetzt worden. Ich mag seinen Stil sehr, aber hier paßt er nicht. Die androgynen Figuren, die er fertigt, repräsentieren für mich nicht das, was die kreolische Gesellschaft der Seychellen ausmacht, das Afrikanische, das Matriarchat. Das tut meiner Vorliebe für Tom Bowers aber keinen Abbruch und ein Besuch bei ihm steht für den letzten Tag auf meinem Plan.

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Mitten in der Rush-Hour trete ich den Rückweg an. Geordnet geht es zu am Bus-Terminus, zwischen Metallbarrieren sitzt man vor dem Buseinstieg an. Die Busse, die an uns vorbeifahren, sehen zum Teil gar nicht gut aus, man darf gar nicht so genau hinschauen.

Wieder ergattere ich einen Sitzplatz, diesmal sogar am Fenster. Beim Abendessen sorgen meine Busbetrachtungen für Erheiterung. Für Charlemagne ist das täglich Brot und tauschen möchte ich nicht mit ihm. Die Küstenstraße mag ja noch gehen, aber wie muß das sein, täglich eine Strecke wie die Sans Soucis Road fahren zu müssen, vielleicht sogar noch während der Regenzeit.
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Aitutaki
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Aitutaki »

Danke für den tollen Bericht. Von den 3 Hauptinseln mag ich am liebsten Mahe... :)
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Suse
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Suse »

Überhaupt, diese Serpentinenstrecken. Manche sind weniger schlimm, als sie auf der Karte aussehen, manche eine unangenehme Überraschung. Irgendwann las ich einmal in einem Reisebericht, es gebe Straßen, bei denen die Kurven so häufig und eng seien, daß die Zeichner der Inselkarten wohl keine Lust oder keinen ausreichend feinen Stift gehabt hätten, um alle Serpentinen dort einzuzeichnen und statt dessen einfach einen durchgehenden Strich gemalt hätten. So eine Strecke ist die Route les Cannelles. Als ich am nächsten Morgen hier entlangfahre, sieht es zunächst so aus, als sei die Karte korrekt, ein langes gerades Stück führt zwischen einer Gemüsepflanzung mit großen Gewächshäusern entlang. Ein kleines Stück Landstraße, auf dem man einfach einmal ohne erhöhte Konzentration fahren und die Gedanken schweifen lassen kann. Ein bißchen wie zuhause.

Sobald man in die Höhe fährt stimmt aber nichts mehr, sondern wohl eher die Einschätzung des besagten Reiseberichtverfassers. Eine Kurve folgt der nächsten, ganz anders, als die Route les Cannelles auf meiner Karte dargestellt ist. Man windet sich nach oben, aber lange dauert es nicht, bis man auf der anderen Seite an der Anse Boileau angekommen ist.

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Die Anse Boileau ist, gerade bei Ebbe, nicht der schönste aller Seychellenstrände,

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aber was ich hier suche, hat auch mit Baden nichts zu tun. Hier, irgendwo verborgen auf einem Privatgrundstück am Strand, befindet sich ein weiterer Reitbetrieb, der neben den vor wenigen Jahren von Südafrikanern eröffneten Turquoise Horse Trails eher im Verborgenen blüht. Elsezare, der Name der Reitschule, eine Namensschöpfung der Gründerin, der Tochter des ehemaligen Präsidenten René. Geleitet wird die Reitschule von einer jungen Engländerin, mit der ich einige Monate vor meiner Reise Emailkontakt aufgenommen habe, um mir die Pferde und die Aktivitäten ansehen zu können. Leider sitzt sie gerade jetzt nach einem Besuch in der alten Heimat in England fest und hat Probleme mit der Wiedereinreise aufgrund verzögerter Verlängerung der Arbeitserlaubnis. Angesichts der großen Zahl ausländischer Beschäftigter in der Baubranche und in der Gastronomie, bin ich immer wieder erstaunt, wie pingelig einzelne Arbeitserlaubnisse bei Europäern geprüft werden. Aber wie auch immer, unsere Verabredung, bei der ich zwei alte Bekannte von La Digue wiederzutreffen gehofft hatte, droht nun daran zu scheitern, so daß ich wenigstens einen kurzen Versuch starten will, die Reitschule auch ohne Ellies Wegbeschreibung zu finden.

Daß ich so hartnäckig bin, hat weniger damit zu tun, daß ich selbst aufs Pferd möchte, die Angebote der Reitschule bestehen sowieso größtenteils aus Reitunterricht für einheimische Seychellois und Kinder von Expats. Was mich sehr viel mehr interessiert, sind die Bemühungen der Betreiber, die vom Aussterben bedrohte Rasse des La Digue-Ponys zu erhalten, von der es noch drei anerkannte Exemplare gibt. So hat man die zwei letzten verbliebenen Ponys vom l’Union Estate-Gelände zur Anse Boileau geholt, Tyangoman und Azhar, die sicher manchem noch gut in Erinnerung sind. Die beiden alten Schimmel, beide fast 30, werden hier liebevoll umsorgt, und mit der einzig verbliebenen Stute dieser Rasse, die sich ebenfalls im Besitz von Elsezare befindet, hoffte man im letzten Jahr auf züchterische Erfolge. Leider vergebens, die aus der Anpaarung mit Azhar tragende Stute verfohlte, im kommenden Jahr wird man hoffentlich mehr Erfolg haben.

Natürlich ist die Rasse des La Digue Ponys nicht als Rasse mit geschlossenem Zuchtbuch und klaren Standards nach europäischem Maßstab zu betrachten. Aber es gilt allgemein als anerkannt, daß es sich bei den früher zahlreichen kleinen Schimmeln im Arabertyp um eine Pferderasse mit gewissen eigenen Merkmalen handelte, die man eben als La Digue-Pony bezeichnete. Ich hätte die beiden alten Herren, die letzten Vertreter der einstmals großen Herde, die das l’Union Estate Gelände durchstreifte, gern noch einmal wiedergesehen und ein paar aktuelle Fotos gezeigt. Für die Nostalgiker, und die, die sich an Pferde auf dem l'Union Estate nicht mehr erinnern können, gibt es auf der Facebook-Seite von Elsezare (eine andere haben sie nicht) ein nettes Album mit alten Fotos. Ich denke, das müßte auch ohne FB-Account anzusehen sein (wem die Anmeldemaske die Sicht versperrt, einfach auf "später" klicken, dann verschwindet das):

https://www.facebook.com/media/set/?set ... 195&type=3

Leider kann mir an der Anse Boileau niemand weiterhelfen, und hier wird mir zum wiederholten Mal bewußt, daß die Verständigung auf Französisch und Englisch nicht mehr so problemlos verläuft, wie vielleicht noch vor 10 Jahren. Begriffe, die nicht zum alltäglichen Grundwortschatz gehören, verstehen viele nicht, so löse ich mit meiner Frage nach einer Reitschule in beiden Sprachen nur Ratlosigkeit aus, und es bedarf zunächst einer genaueren Umschreibung, bevor verstanden wird, was ich meine. Die Zeiten, in denen man voraussetzen konnte, daß ein jeder Seychellois von Geburt an wie selbstverständlich beide Sprachen auf Muttersprachlerniveau erlernt, dürften vorbei sein, Kreol ist jetzt die Landes- und Muttersprache, sie wird als Erstsprache erlernt, überall angewandt, und sowohl Französisch als auch Englisch sind Fremdsprachen, die, nicht anders als bei uns, erst später im Rahmen des Schulunterrichts erlernt werden. Ich finde das auch gut und richtig so. Aber meine Reitschule finde ich nicht, wenn überhaupt, werde ich jedesmal direkt zu den Turquoise Horse Trails an der Anse Barbarons verwiesen. Den Weg zur Reitschule der Locals scheint seltsamerweise niemand zu kennen.

Dafür ermöglicht mir der kleine Spaziergang ein paar Einblicke in das pittoreske Alltagsleben entlang der Küstenstraße, an dem ich sonst meist mehr oder weniger unabsichtlich vorübergefahren bin:

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Nicht nur Wind und Wellen, auch der Preßlufthammer formt den Granit:

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Wie immer, wenn man in Seitenstraßen einbiegt, in denen selten Fremde zu Fuß gehen, wird man begleitet vom giftigen Gebell der Winnies. Winnies, die korrekte Bezeichnung dürfte wohl Zwergspitz sein, hielt man auch im früher von uns bevorzugten Gästehaus auf La Digue, und ein sprachliches Mißverständnis, nämlich das kreolisch verschliffen ausgesprochene „Veni!“ sorgte dafür, daß manche Gäste dies für den Namen des Hundes hielten. Der kleine Insiderwitz einer früheren Seychellenreise wurde später zum geflügelten Wort für all diese kleinen Hunde.

Weshalb man in einem tropischen Land eine Hunderasse favorisiert, deren herausragendstes Merkmal ihr dichtes Fell ist, werde ich nie verstehen. Weshalb man sich die kleinen Fußhupen, die für ihr hysterisches Gekläff und ihre tendenziell aggressiven Charakterzüge bekannt sind, gern mit Zwingern vom Leib hält, verstehe ich schon eher. Überall auf den Inseln trifft man auf aus Holzlatten und Kaninchendraht zusammengenagelte Käfige Marke Eigenbau, in denen meist ein ganzes Rudel wie rasend keifender Winnies auf und abhüpft, wenn man daran vorübergeht. Auch hier begleitet mich der Lärm, der sogar den des Preßlufthammers übertönt!

Allein dafür hat sich der nochmalige Ausflug zur Anse Boileau gelohnt: Ich komme zuguterletzt noch zu meinem Foto vom Pig Rock! :bounce:

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Zurück auf der Route les Cannelles ist es nicht mehr weit bis zu Tom Bowers‘ Studio. Eine schwere Schiffsglocke muß man betätigen, als Nachbar wäre ich hier wohl nur mässig begeistert.

Tom selbst kommt zur Pforte, begleitet von seinen Hunden, die ein gewaltiges Spektakel veranstalten. Sie werden mir namentlich vorgestellt, bis das erledigt ist, haben sie sich dann auch beruhigt.
Das Anwesen ist klein und irgendwie vertraut, so oft habe ich die hier ausgestellten Skulpturen schon auf Fotos gesehen. Das Kopfportrait eines Pferdes aus dem nicht mehr existenten Reitbetrieb Utegangar, Esmeralda und meine Lieblingsskulptur, die Frau mit dem Bananenblatt.

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Die Skulpturen, erklärt mir Tom, werden vorab aus Polyresin geformt und zum Guß nach Südafrika gesandt.

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Mir gefällt sein Stil sehr, auch wenn er ein wenig idealisiert-phantastisch anmutet, die Frauen- und Männerfiguren wirken androgyn und feenhaft, passen aber zu den Motiven, die alle einen Bezug zum Inselleben haben. Hierher bin ich durchaus auch mit einer gewissen Kaufabsicht gekommen, einen echten Bowers hätte ich schon gern. Er habe gerade wenig Ausstellungsstücke da, vor allem kleine, sagt er mir. Wo die denn wären, frage ich ein wenig dümmlich, wobei ich natürlich die Möglichkeit einer Galerie irgendwo in Victoria oder im Ausland im Sinn hatte. You see, grinst Tom, da kommen manchmal Leute vorbei, und die nehmen die dann einfach mit. Schlagfertig ist er.

Seine Galerie ist, genrebedingt, weniger bunt als die eines Malers. Aber die Atmosphäre ist ähnlich wie bei Adams oder früher bei Barbara Jenson, die Hunde und Katzen, und die wohl dicksten Skinke, die ich je gesehen habe (was vermutlich dem freien Zugang zu den Katzenfutternäpfen zuzuschreiben ist). Nichts wirkt wie für eventuelle Besucher oder Kaufinteressenten arrangiert. Kein Marketing, nichts ist Hochglanz, nichts preist sich an. Tom Bowers ist ein bescheidener, freundlicher älterer Herr. Für mich, ebenso wie Adams und Jenson, die Verkörperung einer Künstlergeneration, die vor mehr als 50 Jahren auf die Seychellen kam, um hier in dieser einzigartigen Natur ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, die die Abgeschiedenheit suchten und als Personen hinter ihrer Kunst zurücktreten. Ebenso wie die Ponys von La Digue scheinen sie die letzten ihrer Art zu sein, ihre Galerien wie Relikte in einem Meer aus Selfiefotografen, Contentmanagern, Bloggern und anderen Selbstdarstellern, die vor dem exotischen Hintergrund der Seychellen vor allem ihre eigene Person inszenieren. Ich bin froh, hergekommen zu sein und behalte so ein, zwei kleine Skulpturen im Hinterkopf. Bestellen kann man auch aus Deutschland.

Während ich noch auf dem Grundstück herumwandere und vor allem das Kopfportrait des Pferdes bewundere, hat Tom sich schon längst wieder an die Arbeit gesetzt.


Die Schildkröte links, der ich beim Fotografieren die Nasenspitze abgeschnitten habe, stellt übrigens Esmeralda in Lebensgröße dar:

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Zum Abschied zeigt er mir, an was er gerade arbeitet, eine kleine Skulptur eines Musikers.

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Tonpa, erklärt mir Tom, hat es sogar bis in die internationale Musikszene geschafft, auf den Seychellen genießt er Kultstatus. Als ob er ahnte, welche Gedanken mir beim Betrachten seiner Galerie durch den Kopf gegangen seien, fragt mich Tom, ob ich wüßte, wie das früher hier gewesen sei, auf den Seychellen. Die Stones waren hier, überhaupt viele Musiker hätten hier in den Bergen Mahés Häuser gehabt, lange, bevor der Flughafen gebaut wurde. So hielt Tonpas Musik und sein von ihm erfundenes Instrument, die Bonm, auch Einzug in die Musik der Stones, auf den Seychellen gilt er als Vater der traditionellen Folkmusik. Auch Tom verehrt ihn ganz offensichtlich, es gibt eine kleine, bereits fertig geformte Krone, die der fertigen Skulptur später auf den Kopf gesetzt werden soll (auf dem Foto kann man sie neben den Füßen liegen sehen).
Ich kann mir nicht helfen, auch wenn ich bis heute noch nie von ihm gehört hatte – Tonpa kommt mir irgendwie bekannt vor.
Wenn du keine Kokosmilch hast, machste einfach normales Wasser.
- Grubi -

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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von mr.minolta »

Suse hat geschrieben:Für mich, ebenso wie Adams und Jenson, die Verkörperung einer Künstlergeneration, die vor mehr als 50 Jahren auf die Seychellen kam, um hier in dieser einzigartigen Natur ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, die die Abgeschiedenheit suchten und als Personen hinter ihrer Kunst zurücktreten. Ebenso wie die Ponys von La Digue scheinen sie die letzten ihrer Art zu sein, ihre Galerien wie Relikte in einem Meer aus Selfiefotografen, Contentmanagern, Bloggern und anderen Selbstdarstellern, die vor dem exotischen Hintergrund der Seychellen vor allem ihre eigene Person inszenieren.
So kann man das ganze Dilemma um die Inseln in einem kurzen Absatz auf den Punkt bringen! Danke!

Die wunderbaren Autowracks und die Kloschüssel am Straßenrand haben mir ja schon das Lesen versüßt, aber wird es auch noch Bagger und Baustellen geben? Das ist bisher ein bißchen zu kurz gekommen, finde ich... :lol: :wink:
Es scheint, daß es neben der Republik der Seychellen auf der Welt kein zweites Land gibt, das für sich selbst derart ausdrücklich mit besonderem Umweltschutz wirbt und in der Realität so unfaßbar dreist das absolute Gegenteil davon praktiziert.
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Suse
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Re: Palmen, Pest und Platten - Seychellen Oktober 2017

Beitrag von Suse »

mr.minolta hat geschrieben: Die wunderbaren Autowracks und die Kloschüssel am Straßenrand haben mir ja schon das Lesen versüßt, aber wird es auch noch Bagger und Baustellen geben? Das ist bisher ein bißchen zu kurz gekommen, finde ich... :lol: :wink:
Ja stimmt, Bagger und Baustellen habe ich auf Mahé tatsächlich nur wenige gesehen und die meisten davon waren auch irgendwelche öffentlichen Bauarbeiten am Straßenrand. Aber keine Sorge, die La Digue-Fotos verwurste ich noch. :cry:
Wenn du keine Kokosmilch hast, machste einfach normales Wasser.
- Grubi -

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