Frisch betankt und frisch geputzt glänzt der Challenger in der Morgensonne.
Ob das am Abend auch noch so sein wird?
Heute geht es auf die zweite von mir schon vor der Reise vorbereitete Tour, mal wieder eine Pflanze finden. Im Gegensatz zu den letzten Jahren, in denen wir kleine, begrenzt vorkommende und schnell verblühte Kannen- und Schlauchpflanzen gesucht haben, wird es diesmal eine sehr große Pflanze sein, die man gar nicht übersehen kann. Ich bin genauso gespannt wie vor meinem Besuch auf dem Florida Southern College.
Die Anfahrt verläuft entspannt, diesmal haben wir keine Schraube im Reifen und das Auto schnurrt zügig voran. Für den Challenger zumindest mit uns mal eine neue Strecke. Es geht über die südlichste Interstate der USA in den Norden Floridas nach Tallahassee. Zumindest in die Außenbezirke, denn das, was wir suchen, steht einsam in den Red Hills am östlichen Rand der Stadt.
An der Abzweigung 209 A fahren wir ab, ein Stück die 90 nach Westen und dann hinein in das Netz der Canopy Roads, die die Stadt umgeben.
Man hat genügend Zeit zum Gucken, denn wenn sich sonst auch viele Autofahrer nicht an das Tempolimit halten mögen, hier tun sie es. Parallel zu den Straßen verlaufen Reit- und Wanderwege, die die Canopy Roads kreuzen, in regelmäßigen Abständen stehen Warnschilder, und vor der Möglichkeit, jederzeit einen Radfahrer oder ein Pferd vor der Motorhaube zu haben, haben die Leute offenbar schon Respekt.
Stellenweise sind die Straßen als Scenic Roads ausgewiesen, dann geht es sowieso nur noch mit 30 Meilen voran. Es ist herrlich und wir haben Glück. Die hochsommerliche Phase scheint dem Ende zuzugehen, morgens war es stark bewölkt, aber jetzt kommt die Sonne heraus und scheint in die grünen Tunnel.
Letztes Jahr auf dem Martin Grade Highway konnte man nicht so langsam fahren, aber hier hat man Zeit, jeden mit Resurrection Farn bedeckten Ast wahrzunehmen.
Wir folgen lange Zeit der Centerville Road und je weiter wir uns von der Stadt entfernen, desto prächtiger werden die Häuser rechts und links. Manche ehemaligen Plantagen scheinen heute Country Clubs zu sein. Die Einfahrten voller knospender Magnolienbäume sind beeindruckend. Ein paar Wochen später, wenn die Bäume in voller Blüte stehen, muß das hier grandios aussehen.
Erst ab der Abzweigung zum Moccasin Gap wird es wieder ein bißchen rustikaler, und genau hier, an der Straßengabelung, steht Bradley’s County Store.
Der Laden und seine Betreiber sind Originale hier in der Gegend, hier kauft nicht nur die politische Hautevolée der Hauptstadt, sondern auch der kleine Wähler von nebenan. Und alle sind sie wegen der Hotdogs mit den hausgemachten Räucherwürsten hier.
Wir nicht nur deswegen. Auch wenn wir normalerweise keine großen „Shopper“ sind – hier geht’s jetzt erstmal rund. Ich trödele bestimmt eine halbe Stunde in dem kleinen Laden und kaufe Marmeladen, Chutneys und Backmischungen, alles homemade und original Florida. Es ist schließlich nur noch ein Dreivierteljahr bis Weihnachten und für die Wohnungs- und Blumenversorger zuhause muß man ja auch etwas haben.
Ein Hotdog muß dann auch noch sein, dazu ordentlich Refill-Cola. Wir sitzen eine Weile auf der Veranda und freuen uns an der entspannten Atmosphäre und den vielen schönen Autos, die hier halten. Darunter viele Cabrios. Wir sind nicht die einzigen, die zum Canopy Roads-Gucken hier vorfahren.
Kaum jemand verläßt den Laden ohne eine Tüte. An der Alufolie, die durch das Plastik schimmert, erkennt man auch, wer Würste gekauft hat, und das sind die meisten. Angeblich hat das hier in Tallahassee Tradition, sich am Wochenende Bradleys-Wurst zu besorgen.
Frisch gestärkt geht es weiter, den Moccasin Gap entlang, durch den kleinen Ort Miccosukee. Das ist kaum mehr als eine Handvoll Häuser, die sich um eine Kreuzung mit Tankstelle gruppieren.
Danach sind es nur noch wenige Meilen, bis der Moccasin Gap an einer T-Kreuzung endet, geradezu eine Plantage, dahinter der Lake Miccosukee. Und rechts und links von uns eine Dirt Road.
Das ist die Old Magnolia Road, ein tief in das umgebende Land eingeschnittener Hohlweg aus festgestampftem rotem Lehm, der den Red Hills ihren Namen gibt. Wenn man solch eine Straße hinunterfährt, ist es wie eine Zeitreise, zurück in die Anfänge des durch Europäer besiedelten Floridas und alles, was die damalige Zeit an Andersartigkeit mitbrachte. Diesen Hohlweg haben unzählige Menschen in Jahrhunderten geschaffen, hier liefen Sklaven und fuhren feine Damen in Kutschen und hier trafen sich die Gentlemen der Gesellschaft zum Duell.
Da ist ja gar kein Asphalt, jammert der Mister. Na und, sage ich, das Auto hat doch Stoßdämpfer, wo ist das Problem, du kannst ja langsam fahren.
Wir rollen also ganz vorsichtig los. Vom Fahrersitz kommen bei jedem Staubwölkchen, das wir aufwirbeln, leise Klagelaute. Dem Gesichtsausdruck des Misters nach führt die Old Magnolia Road direkt mitten nach Mordor, wo der silberne Challenger ganz sicher im Feuerberg verglühen wird, und er streichelt besorgt das Lenkrad. Ganz leise meine ich ihn „Mein Schatz“ sagen gehört zu haben, und ich bezweifele, daß das mir galt.
Und dann steht sie da, genau wie beschrieben und auf Fotos gesehen. Sie ist so groß, daß die Straße sich um sie herum teilen muß und älter als Florida selbst: Die Duelleiche.
Bis ins Jahr 1840 galt auch in Florida der von irischen Einwanderern mitgebrachte Code Duello, mit dem ein Mitglied der Gentry seine Weste reinwaschen und seine Ehre wiederherstellen konnte. Über viele Jahrzehnte funktionierte dies nach festen Regeln ablaufende Procedere, und daß es in Florida abgeschafft wurde, hat mit dieser Straße zu tun.
Es ist nicht bekannt, wie viele Duelle diese Eiche gesehen hat, bekannt ist nur, daß sie einer der Plätze war, an dem man sich – zumeist im Morgengrauen – traf, um Streitigkeiten mit Waffengebrauch beizulegen. Das Ergebnis, der Tod eines oder beider Kontrahenten wurde dann auch normalerweise von allen Angehörigen akzeptiert.
Nur nicht im Jahr 1839, als zwei verfeindete Politiker, ein Demokrat und ein Angehöriger der Whigs, der Vorläuferpartei der Republikaner, sich hier aufgrund eines Disputs im politischen Konkurrenzkampf duellierten und der Demokrat den Whig tötete. Der darauffolgende über ein Jahr andauernde Rachfeldzug des Bruders des Getöteten brachte dem Jahr 1840 den Beinamen „Summer of Violence“ ein und war für den Gouverneur Grund genug, den Code Duello als nicht mehr zeitgemäß abzuschaffen.
Die Duelleiche blieb ein historischer Ort und es sollen die Eigentümer der umliegenden Plantagen gewesen sein, die dafür sorgten, daß sie auch in der Neuzeit nicht weichen mußte, sondern die Old Magnolia Road um sie herum verläuft.
Dieser Baum war schon alt als Alston und Read sich hier duellierten, was mag er alles gesehen und gehört haben. Die Bäumeumarmerin in mir muß da einfach mal raufklettern, wenigstens einmal anfassen, die uralte Borke.
So viel Distanzlosigkeit vor der erwürdigen Eiche wird sofort bestraft. Noch während der Mister mir zuruft, ich solle mal so stehen bleiben für ein Foto, merke ich, was passiert ist.
Feuerameisen!
Bevor ich die Miststücker überhaupt bemerke, sind sie mir schon die halben Waden hochgelaufen, und dann beißen sie zu. Aus dem Foto wird nichts, ich springe kreischend und um mich schlagend auf die Straße zurück. Wer jemals Feuerameisenbisse hatte wird wissen, daß ich daran noch lange Freude hatte.
Würde man die Straße bis zum Ende durchfahren käme man direkt wieder auf die 90 und später auf die I10 zurück. Uns aber hat die Strecke so gut gefallen, daß wir den Rundkurs hier nicht beenden, sondern die Strecke genau so wieder zurückfahren, um noch ein paar Videoaufnahmen zu machen.
Ich weiß nicht, ob es „offizielle“ Canopy-Road Strecken gibt, denen man folgen kann. Unsere Tour war von mir selbst ausgearbeitet und es mag noch schönere geben, das werden wir selbst sicher auch auf einer späteren Reise noch weiter auskundschaften.
Für diejenigen, die es interessiert, welche Strecke wir in diesem Jahr gefahren sind:
I10 bis Ausfahrt 209a auf die US90 nach Westen (Mahan Drive).
Thornton Road -> Miccosukee Road nach Osten -> Crump Road nach Norden -> Roberts Road nach Westen -> Centerville Road nach Norden bis Moccasin Gap. Moccasin Gap nach Westen -> Old Magnolia Road nach Süden.
Abends sind wir angefüllt mit Eindrücken und voller heftig juckender Ameisenbisse zurück im Motel.
Und tatsächlich - auch am Challenger ist die Fahrt nicht spurenlos vorübergegangen.

Ein bißchen Old Magnolia Road haben wir mit nach Lake City gebracht.
