Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

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Suse
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Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von Suse »

Wenn man zwischen den Jahren arbeiten muß, muß man sich ja irgendwie die Zeit vertreiben. :wink: Lust auf einen Rückblick auf unseren Kurztrip nach England Ende September?

Es muß ja nicht immer eine Fernreise sein, manchmal lassen sich langgehegte Wünsche auch ganz in der Nähe erfüllen. Die Orte, die wir besucht haben, so unterschiedlich sie sind, haben alle zwei Dinge gemeinsam: Sie sind Teil der Lebensgeschichten von Personen, für die wir ein besonderes Interesse haben, das zumeist durch frühere Reisen geweckt wurde, und sie liegen alle in England. Was nicht verwunderlich ist, da Großbritannien mit seinem weltumspannenden Empire fast überall in irgendwie vertreten ist, egal in welchen Winkel der Welt man reist.

Daher wird der Bericht kein Reisebericht mit Anspruch auf Vollständigkeit der vorhandenen Sehenswürdigkeiten sein, sondern nur ein paar Streiflichter werfen auf unsere kurze Herbsttour durch London und Dorset.

Im Gegensatz zu Berlin hat London eine anständige Anzahl von Flughäfen, wie es sich für eine Metropole gehört, nämlich vier. Drei davon fallen einem sofort ein: Heathrow, Stansteadt, Gatwick. Und der vierte? Ist London City, LCY.

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Diesen Flughafen fliegen nur kleine City Hopper an, Typ Embraer und solche. Die Piloten haben eine Sonderlizenz erwerben müssen, damit man am Ende der ins Wasser gebauten Landebahn nicht genau da hineinfällt. Nach dem Aussteigen hat man herrlich kurze Wege.

Beim Anflug hat man eine deutlich niedrigere Anflughöhe als bei den weiter außerhalb gelegenen Flughäfen und deshalb eine tolle Sicht auf die City. Vorausgesetzt, die Wolken hängen nicht tiefer als die Wolkenkratzer, womit Ende September in England durchaus zu rechnen ist. Aufgrund starker Verspätung kann uns das egal sein, es ist sowieso schon dunkel, als wir landen.

Erste Erfahrung mit der überwältigenden Herzlichkeit der Engländer ist der Erwerb von zwei Oyster Cards, denn wir haben ja kein Auto, sondern fahren Tube. Die Verkäuferin läuft mit uns fast bis auf den Bahnsteig, um sicherzustellen, daß wir uns zurechtfinden.

Das Hotel ist eigentlich einfach zu finden, wir verfahren uns trotzdem, was sich sogar als vorteilhaft herausstellt, denn die falsche U-Bahn-Station liegt dem Hotel näher als die Waterloo Station, in der wir eigentlich aussteigen wollten.

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Abendessen erledigt sich ebenfalls direkt auf der Westminster Bridge. Gegen die gigantisch großen und unfaßbar köstlichen Hotdogs, die hier verkauft werden, können die amerikanischen, auch die New Yorker, direkt nach Haus gehen. Wir verdrücken die Teile gleich auf der Brücke zwischen dem Big Ben und dem London Eye.

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Unser Hotel, das Westminster Park Plaza. Es liegt direkt am anderen Ende der Brücke. Es ist genauso teuer wie das klingt, aber ich habe da als Frühbucher und mit Booking-Genius-Level 2 einen Schnapper geschossen.

Die riesige Lobby

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mit Sitzmöbeln, die förmlich dazu einladen, Facebook zu öffnen. :wink:

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Das Zimmer ist klein, aber auch sehr schick, mit Badewanne und allem. Die Pflegeprodukte sind, surprise, surprise, vom selben Hotelleriebedarfsproduktehersteller wie im Staypineapple in San Francisco im Juli. Und weil der Geruchssinn ja der intensivste aller Sinne sein soll, weckt das sofort Erinnerungen.

Das Frühstücksbuffet ist gut bis sehr gut und wir fühlen uns sehr wohl. Es ist der ideale Startpunkt für alle Ausflüge, weil zwischen der Waterloo Station und dem Westminster Pier liegt und man sich je nach Ziel aussuchen kann, welche Station man benutzen möchte.

Weil man, wie in allen Metropolen der Welt mittlerweile, ja nix mehr spontan unternehmen kann, sondern alles vorab planen und buchen muß, um nicht fünf Stunden Schlange zu stehen, ist der Zeitplan, wann wir was machen, schon grob vorgegeben. So beginnen wir den ersten Tag in der direkten Nachbarschaft mit der Westminster Abbey, für die wir einen Timeslot um 11 Uhr haben.

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Der Himmel ist bewölkt, aber das ist sogar eher vorteilhaft, denn beim Überqueren der Westminster Bridge heben sich die prächtigen Houses of Parliament vor dem dunklen Himmel viel besser ab, als das bei Sonnenschein der Fall gewesen wäre.

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Vor allem die vergoldeten Wetterfahnen

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Die Gräber von Maria Stuart, Königin Mary und ihrer Schwester, der ersten Elisabeth, ziehen wohl die meisten Besucher an. Die beiden Schwestern teilen sich einen Raum, Maria Stuart liegt nebenan, damit wenigstens im Jenseits kein tödliches Gezänk mehr ist.

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Die unglaublichen Menschenmassen können der Imposanz der Abtei keinen Abbruch tun. Es ist einfach ein unglaublicher Ort, selbst wenn die von mir geschätzten Dichter hier nicht lägen.

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Denn vor allem deshalb sind wir hier, wegen der Poets‘ Corner in der die berühmtesten englischen Poeten begraben liegen. Eigentlich sogar wegen eines bestimmten.

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Rudyard Kipling, den die meisten wegen des Dschungelbuches kennen, andere wegen seiner imperialistischen und als rassistisch interpretierten Gedichte canceln möchten und noch sehr viel mehr wegen seiner unglaublichen Ideenfülle, seinen philosophischen Betrachtungen und phantasievollen Kurzgeschichten bewundern. Mein allerliebster Schriftsteller, schon seit meiner Kindheit, hier liegt er begraben und die Grabplatte habe ich bei meinem ersten Besuch hier vor vielen Jahren einfach nicht gesehen.

Leicht ist es auch heute nicht, die Platten sind teilweise vollkommen von den Füßen der Besucher verdeckt, man muß Geduld haben, bis die Menschen sich weiterbewegen.

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Dann aber schnell. Jetzt wenigstens einmal den heiligen Ort mit den Fingern berühren.

Ein älterer Herr, macht es mir direkt nach, die Umstehenden schauen uns amüsiert zu. Auf diese Weise finden Gleichgesinnte ja schnell zusammen. Wir erzählen uns kurz, was wir am liebsten lesen, natürlich ist es bei ihm, als Engländer, „If“, Kiplings wohl bekanntestes Gedicht, das Generationen junger Männer zur Charakterbildung auswendig lernen mußten.

https://www.youtube.com/watch?v=gbq6k33qiaw

Direkt nebenan liegen Dickens und Thomas Hardy, etwas weiter entfernt eine Gedenktafel der Trench Poets, die mit ihren Romanen und Gedichten ihre traumatischen Erfahrungen in den Schützengräben Flanderns verarbeiteten und damit der Behauptung Recht geben, daß großes Leid oft große Kunst hervorbringt. Einigen von ihnen werden wir später in Dorset indirekt noch wiederbegegnen.

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Wir bleiben ziemlich lange in der Abbey, der wenn man einmal drin ist, ist die Aufenthaltsdauer zum Glück nicht begrenzt.

Nicht begegnen werden wir Willy und den anderen Windsors, die besuchen wir vielleicht beim nächsten Mal in einer adäquaten Stadtrundfahrt. Ist das nicht herrlich britisch? :D

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Für den heutigen Nachmittag hat sich der Mister das mittelalterliche London als Wunschziel ausgesucht und möchte zum Tower, ein noch größeres historisches Schwergewicht als die Westminster Abbey. Also zücken wir unsere Oyster-Cards und hinein in die Tube.

Eine Königin sehen wir unterwegs aber trotzdem noch, die Statue oberhalb des Westminster Piers stellt Boudica, die Keltenkönigin, und ihre Töchter dar:

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Am Tower Hill steigen wir aus. Das ist zwar auf der selben Themseseite, aber den besten Blick auf das Gebäude als Ganzes hat man vermutlich von der Plattform neben der Sonnenuhr:

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Entlang der Überreste der römischen Stadtmauer bewegt man sich dann unter der Schnellstraße durch und weiter parallel zum Tower Richtung Tower Bridge immer entlang des Burggrabens.

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Wir haben zwar darauf verzichtet, den Tower von innen zu besuchen, aber dennoch kann man im Schatten des imposanten Gebäudes natürlich nicht verhindern, daß Heinrich VIII und seine Entourage einem im Kopf herumspuken. Wobei spuken es schon ganz richtig trifft, denn ich muß bei seinem Namen eigentlich immer zuallererst an diese Szene hier denken und werde den Rest des Tages den Ohrwurm dann auch nicht mehr los.

Second verse, same as the first :lol:

https://www.youtube.com/watch?v=pZxIAN6don4

Und dann stehen wir auf der Brücke. Sogar die Sonne hat sich für den Moment herausgetraut und die Londoner Skyline mit ihrer faszinierenden Mischung aus Mittelalterlichem und Futuristischem breitet sich vor uns aus.

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Der Mister ist begeistert, die Brücke ist für ihn ungefähr so symbolträchtig für die Stadt London wie der Eiffelturm für Paris, und so wie ich einmal Kiplings Grabplatte anfassen wollte, so wollte er gern einmal über die Brücke laufen.

Das gelingt uns aber nur zur Hälfte, denn die Tower Bridge ist eine Zugbrücke und genau als wir uns der Mitte nähern, begehrt ein Segelschiff mit hohen Masten Durchlaß.

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Ich bin noch näher an der Seite, von der wir gekommen sind, als der Warnton erklingt, während der Mister schon mitten auf dem Fluß ist. Für einen kurzen Moment ist er die letzte Person, die noch auf dem Fußweg steht. Es wäre ein einmaliges Foto geworden, von ihm ganz allein auf der ansonsten menschenleeren Tower Bridge.

Das strenge „Behind the white line, Lady“ des Wachmanns veranlaßt mich dann aber zum sofortigen Rückzug. Von dort aus, wo ich nun stehe, habe ich keine Fotoposition mehr und der Mister ist inzwischen auch schon in seiner Sicherheitszone auf der anderen Seite angekommen.

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Alle Handys recken sich in die Luft wie bei einem Konzert, als die Brückenteile sich heben. Danach finden wir wieder zusammen und beobachten, wie sich der Stau der schwarzen Taxis und roten Doppeldeckerbusse wieder auflöst. Englischer wird’s heute sicher nicht mehr.

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Je ein Wunsch erfüllt, Kipling und die Tower Bridge. Morgen begeben wir uns erneut auf die Spuren einer Person, der unsere Bewunderung gilt, dann geht’s weiter mit Geschichten aus dem Paulaner... äh, Botanischen Garten.
Wenn du keine Kokosmilch hast, machste einfach normales Wasser.
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knuffi
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von knuffi »

Wir waren imMärz in London, uns hat es auch sehr gut gefallen!! Wir waren vor ner gefühlten Ewigkeit schon mal dort, diesmal kam mir alles sehr teuer vor!
Aber es ist eine Stadt, die man gesehen haben muss.

Was wir nicht bedacht bzw geahnt haben, dass man vom Flughafen Gatewick abends - ca 23 Uhr - mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr wirklich gut in die Stadt kommt. Wir hatten unser Hotel direkt an der Tower-Bridge, Transfer mit den Öffis hätte über 2,5 Std gedauert. Haben dann über book...com ein Taxi gebucht, zur Freude vom Sohnemann...wir wurden mit einem weißen Tesla abgeholt. :D
Seychellen 2008( Mahe, Praslin, La Digue), 2010(Praslin, La Digue), 2011(Praslin), 2015(Praslin, La Digue), 2017(Praslin), 2021(Praslin,Mahe), 2023 Praslin & Mahe, 2024 Mahe
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Suse
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von Suse »

Genau deshalb bin ich dann irgendwann auf den LCY gekommen, weil ich einfach keine Lust auf diese weite Anreise hatte. Ich war schon mehrmals in London, aber bislang immer mit der Fähre angereist, und den City-Flughafen kannte ich bisher gar nicht. Zum Umsteigen bei einer Fernreise bietet der sich nicht an, aber wenn London oder England generell das Endziel ist, ist der super.

Wir fanden es auch total teuer, sogar teurer als San Francisco im Juli.
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Suse
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von Suse »

Nach dem üppigen Frühstücksbuffet ist es sehr angenehm, daß die Fahrt nach Kew Gardens hinaus so weit ist, da kann man eine Dreiviertelstunde ausruhen. Einzige Sorge ist, daß wir vielleicht keinen Sitzplatz bekommen. Die Uhrzeit zu der wir fahren, liegt aber so weit außerhalb der Hauptverkehrszeit, daß die Bahnen leer sind.

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Die Londoner U-Bahn kommt mir im Vergleich zur Berliner oder Pariser sehr viel kleiner vor. Nicht in der Höhe, die Leute müssen ja aufrecht darin stehen können, aber in der Breite. Zwischen den Sitzreihen ist kaum Platz zum Stehen, es macht den Eindruck, als wäre das für Pendler zur Rushhour hier mehr als unangenehm.

Wir sitzen also gemütlich. Leider sieht man ja so nichts von der Stadt, aber hier gibt es tatsächlich auch eine U-Bahn-Station die direkt spannend ist.

Gloucester Road Station:

https://www.youtube.com/watch?v=ICazbone8WY

Die Künstlerin mit dem ansprechenden Vornamen Monster hat hier Skulpturen geschaffen, die durch die Fenster der Waggons surreal und unheimlich aussehen. Wenn man genauer hinschaut sieht man aber, daß es sich um Amphibien und Reptilien zu handeln scheint. Es ist, als werfe man einen Blick in eine Tropfsteinhöhle, darstellen soll es aber eine Teichlandschaft. Die ganze Installation nennt sich Pond Life und ist eine Reverenz an die große Wasserlilie, auf deren Blattwuchsschema die Konstruktion des Crystal Palace beruhte, des großen Glaspalastes, in dem die Weltausstellung stattfand, die 1851 hier ganz in der Nähe im Hyde Park abgehalten wurde. Kleiner Vorgeschmack auf unser heutiges Ziel also.

Leider kommen wir aufgrund einer Zugstörung mit Umleitung auf dem Rückweg hier nicht wieder vorbei, sonst wäre ich hier gern ausgestiegen und hätte Fotos gemacht, aber so haben wir keine eigenen.

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Der Hinweg verläuft aber problemlos, und Kew, obwohl Teil der Stadt London, entpuppt sich als netter Vorort mit dörflichem Charakter, dem man aber deutlich ansieht, daß hier die ganz große Kohle sitzt.

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Viktorianische und edwardianische Stadthäuser, Baumfarne im Garten, das läßt schon ahnen, wo die Straße hinführt. In den teuersten Gegenden Londons wie Kensington zahlt man für so eine Butze um die fünf Mille, das wird hier sicher nicht viel weniger sein.

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Am Ende der Straße das Victoria Gate, durch das wir den Londoner Botanischen Garten betreten, Kew Gardens.

Größer als in Berlin sind die Gewächshäuser hier übrigens nicht, da halten wir den Rekord. Aber älter. Und viktorianischer natürlich.

Das Palmenhaus ist das älteste. Bereits zweimal gründlich saniert ist es demnächst wieder fällig, und das wird Jahre dauern. Wir haben Glück, daß es noch geöffnet ist.

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Ein bißchen marode ist es, vor allem oben auf der Galerie, wo sich die feuchte Hitze staut. Aber es ist herrlich, von oben auf die Palmen und Farne hinunterzublicken, und die meisten Pflanzen hier brauchen die tropischen Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit nun mal.

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Eine kleine Wendeltreppe ist für den Aufstieg bestimmt, eine für den Abstieg. Und in England hält man sich an sowas, es gibt keinerlei Gegenverkehr.

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Das Seerosenhaus nebenan ist klein gegen das Berliner Haus. Auch hier herrscht der morbide Charme des Verfalls, aber wir haben es eben auch mit originalen Strukturen aus Glas und Stahl aus der viktorianischen Zeit zu tun, da dürfen die auch schon vermoost sein.

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Und hier sehen wir sie dann auch, die Victoria amazonica, um die sich vorhin die Skulpturen in der Gloucester Station drehten.

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Die Blätter tragen tatsächlich ein Kleinkind. Man erkennt gut die Blattadern, deren Stützsystem sie sie tragfähig macht und das das Vorbild für die moderne Stahlskelettbauweise gewesen sein soll.

In dem Haus, das mich am allermeisten interessiert, gibt es aber gar keine echten Pflanzen, sondern nur gemalte: Die Marianne North Gallery.

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Marianne North, eine der wenigen Frauen des 19. Jahrhunderts, die nicht nur die Mittel, sondern auch den Mut hatten, die Welt auf eigene Faust zu bereisen, mit Krinoline, Korsett und Sonnenschirm, und, im Falle Marianne Norths, auch mit einer Staffelei.

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Sie war ein echter Pflanzen-Nerd, jegliche Literatur, nicht nur ihre eigene, sondern auch die Aussagen anderer, beschreiben sie so. Sie malte, zeichnete und studierte Pflanzen, nahm jegliche vorstellbare Anstrengung auf sich, um seltene Exemplare zu finden oder noch unentdeckte zu dokumentieren.

Mit unserer früheren Begeisterung für die Seychellen, die ja aufgrund der Art, wie das Land mit seinen Naturschätzen umgeht, stark abgekühlt ist, ist uns Marianne North ein Begriff geworden. Verschiedene endemische Pflanzen, auch der Seychellen sind nach ihr benannt, viele Orte mit spektakulären Aussichten hat sie in Öl verewigt.

Wenn man oben in den Bergen von Mahé an der Mission Lodge steht, ist der Blick noch genau derselbe wie auf ihrem Bild. Nur daß die Mission und das Waisenhaus von Venn’s Town heute überwucherte Ruinen sind.

http://www.kew.org/mng/gallery/480.html

Einmal die Gemälde von Orten, an denen man schon gestanden hat, mit eigenen Augen sehen. Anders als bei Kipling sollte man das Anfummeln hier allerdings tunlichst unterlassen. In England, dem Land der Überwachungskameras, sieht die Obrigkeit alles. Und alles ist verboten, nicht nur das Berühren, auch das Fotografieren.

Trotzdem ist das Betreten der Galerie wie ein Zuckerschock für mich. Alle Gemälde hat Marianne North dem Botanischen Garten selbst gespendet, die Galerie wurde eigens dafür erbaut. Die Bilder hängen dicht an dicht.

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Sobald man die einzelnen Kontinente und Länder aber mal ausgemacht hat, findet man auch die Bilder, die man sucht. Mit Hilfe des nicht kurzsichtigen Ehemannes, der mir den Wasserfall im Vallée de Mai mit Coco de Mer und die Kannenpflanzen zeigt, die für mich alle zu weit oben an der Wand hängen, als daß ich die kleinen Schildchen an den Rahmen lesen könnte, finden wir alle Gemälde, die wir einmal selbst sehen wollten, von Pflanzen und Orten, zu denen wir früher irgendeinen Bezug hatten.

http://www.kew.org/mng/gallery/479.html

Wir setzen uns auf die Bänke und versuchen, auch die anderen Kontinente zu würdigen, aber es ist schon zu viel, als daß man den Detailreichtum der Bilder aufnehmen könnte. Es wirkt eher als Gesamtkonzept, und es beeindruckt zutiefst, wie unglaublich produktiv diese Malerin in ihrer Lebensspanne war und welch unglaubliche Reisetätigkeit sie in einem Jahrhundert, in dem das selbst Männern nur selten vergönnt war, an den Tag gelegt hat.

Da eben keine privaten Aufnahmen des Innenlebens der Galerie erlaubt sind, gibt es hier ein kleines offizielles Video, das veranschaulicht, wie prächtig es darin ist.

https://www.youtube.com/watch?v=OBbskY2fkVc

Wir haben noch das größte aller hier existierenden Gewächshäuser vor uns, das Temperate House.

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Während das Palmenhaus noch begehbar ist, bevor die Renovierung beginnt, ist das Temperate House gerade fertig und neu eröffnet worden, da haben wir genau das richtige Zeitfenster erwischt.

Es ist gigantisch groß mit mehreren kleineren Nebengebäuden, verbunden durch Pavillons, in denen wahre Prachtexemplare an Bonsais ausgestellt werden.

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Hier im temperierten Haus ist es deutlich kühler als im Palmenhaus, die Luft ist sehr angenehm, vermutlich auch aufgrund des großen Wasserfalls:

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Wer es mal als Ganzes anschauen möchte, auch aus der Vogelperspektive, kann das hier auch noch mit musikalischer Untermalung tun.

https://www.youtube.com/watch?v=hG9cGzuinIc

Das Palmenhaus, das bei den Außenaufnahmen ja irgendwann auch im Bild ist, sieht dagegen direkt klein aus. Genau dorthin zieht es uns zum Schluß noch einmal zurück, die tropische Atmosphäre lockt uns an.

Darüber vergessen wir ganz, daß wir noch keine Kakteen gesehen haben, die sich, wie wir später nachlesen, im Princess of Wales Gewächshaus befinden, aber das übersehen wir irgendwie. Naja, schon mal ein erster Grund, weshalb wir nochmal hermüssen.

Der Mister möchte nochmals ins Seerosenhaus mit seinen vermoosten Fenstern und wild herumrankenden Kletterpflanzen, ich nochmal auf die Galerie des Palmenhauses.

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Man kann sich kaum vorstellen, welche Mühe das vor über 150 Jahren gewesen sein muß, solche Häuser zu unterhalten. Und dabei sind die ersten Palmen schon sehr viel länger hier, die brachte schon Captain Bligh Ende des 18. Jahrhunderts von den Westindischen Inseln mit, Jahre nach seiner gescheiterten Fahrt mit der Bounty.

Und genau ihn besuchen wir morgen, morgen wird Bounty-Tag.
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Suse
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von Suse »

Dies wird der erste Tag, an dem wir abends richtig Essen gehen werden, bislang haben wir uns Restaurantbesuche verkniffen. Die Kosten für Lebensmittel und Getränke waren in England schon immer höher als auf dem Kontinent, auch San Francisco kann nicht mithalten, wenn man im indischen Minimarkt 4 Pfund für ein einzelnes Snickers zahlt. Wir hätten mal gucken sollen, was eigentlich hier ein Bounty kostet, aber auf die Idee sind wir nicht gekommen.

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Meistens konnten wir abends den gigantischen Hotdogs auf der Westminster Bridge sowieso nicht widerstehen. Und danach hatte man essenstechnisch keine Fragen mehr. Die rechts sind die 10 Pfund-Varianten. Also preislich, obwohl man mit allen Zutaten auch das Gefühl hatte, das als Gewicht in der Hand zu halten.

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Wie das immer so ist, lernen wir jetzt, wo wir London bald verlassen, die Umgebung unseres Hotels erst richtig kennen. Die vergangenen zwei Tage sind wir immer Richtung Fluß gegangen, heute zum ersten Mal auf die Rückseite, nach Lambeth.

Hätten wir das mal eher getan, aber hinterher ist man ja immer schlauer. Während sich vor dem Haupteingang das supertouristische London entfaltet, mit dem Parlament, Big Ben und dem London Eye, liegt dahinter plötzlich eine andere Welt.

Lambeth ist natürlich kein preiswerter Stadtteil, auch das ist Innenstadt-London, aber mit einem ganz anderen Charakter. Nur wenige Meter hinter dem Hotel finden wir kleine Pubs, Coffee Shops, Blumenläden und sogar eine Filiale von Selfridge’s, wo das Snickers dann vielleicht nur noch 2 Pfund gekostet hätte. :wink:

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Die Gebäude sind historisch, mehrstöckige Wohnhäuser der Jahrhundertwende. Und mittendrin, in einer Parkanlage vor einem Museum, steht plötzlich ein Stück Berliner Mauer.

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Was die da zu suchen hat, erklärt sich, wenn man weiß, daß das Gebäude, zu dem die Parkanlage gehört, das Imperial War Museum ist, ein Museum mit dem Bildungsauftrag, den folgenden Generationen die Gräuel der Kriegsführung einschließlich der des Kalten Krieges plastisch vor Augen zu führen, weshalb es auch keinen Eintritt kostet. Unter anderem zeigen sie auch eine deutsche V2, die den Grundstein legte für alles, was man heute in Cape Canaveral ins All steigen sieht. London hat im Zweiten Weltkrieg besonders unter dem Beschuß durch V2 gelitten und eine solche ist damals auch unweit von hier eingeschlagen und hat in dem historischen Stadtteil massive Schäden hinterlassen.

Tatsächlich nur ganz knapp verschont geblieben ist dabei das Haus Lambeth Road Nr. 100 ziemlich genau gegenüber des Museums. Das Haus, in dem Kapitän Bligh, bis zur Meuterei der Kommandant der Bounty, nach seiner Rückkehr aus Tahiti lebte.

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Eine Plakette erinnert daran, mehr kann man dieser nicht entnehmen. Wir sind nicht die einzigen, die hier stehen und Fotos machen. Der Mister freut sich, ein weiteres Puzzleteil, das zur Geschichte um die Bounty gehört. 2022 standen wir in Tahiti in der Matavai-Bucht, in der die Bounty bei ihrer Ankunft in Polynesien ankerte, und 2019 lebten wir 10 Tage mit Blick auf den Vulkankegel von Tofua in der Lagune von Ha’apai in Tonga, genau dort, wo die Meuterer den Kapitän mit den Seeleuten, die zu ihm hielten, in einem Beiboot aussetzten.

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Was wir nicht wissen, ist, daß Blighs Grabstelle sich nicht weit von hier in einem Kapellhof befindet, der heute zum Museum für Gartenbaugeschichte gehört. Ein weiteres Argument, warum wir wiederkommen müssen. Und wo wir dann wohnen werden, findet sich später auch noch. Denn daß es sich bei dem Haus in der 100, Lambeth Road, um ein Bed & Breakfast handelt, ist, so lesen wir später, Londons best kept secret.

Was uns fehlt sind der Anfang und das Ende der Geschichte der Bounty. Aber zumindest einen Teil davon werden wir heute noch abhaken können.
Am frühen Abend haben wir einen Tisch in Wapping reserviert. Von der Tower Bridge aus gestern hätten wir zu Fuß entlang der Themse hinlaufen können, aber vom Hotel aus ist es wieder eine längere Fahrt mit der Tube mit Umsteigen.

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Die Station, an der wir aussteigen müssen, wirkt uralt, rostige Wendeltreppen führen nach oben. Als wir auf der Straße stehen, dämmert es schon, es hat geregnet, das Kopfsteinpflaster glänzt im Schein der Laternen. Links von uns der Fluß, dazwischen die alten Backsteingebäude der Werften. Es erinnert an die Speicherstadt in Hamburg, nur daß hier sündhaft teure Lofts entstanden sind, die sich vermutlich nur kinderlose Doppelverdiener aus dem internationalen Börsenhandel leisten können.

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Und mittendrin das Town of Ramsgate. Blau angeleuchtet und so behaglich und traditionell, wie ein Pub nur sein kann.

https://townoframsgate.pub/our-story/

Das Town of Ramsgate soll einer der ältesten Pubs hier an der Themse sein, was sicher stimmt, denn er wird seit dem 15. Jahrhundert durchgehend betrieben. Aber das allein macht ihn noch nicht zu etwas Besonderem. Hier, in den Gassen von Wapping, lebte der junge Bligh, bevor er die Bounty kommandierte, hier wurde der Kaufvertrag für die Bounty begossen und hier tranken Bligh und Fletcher Christian, damals noch in gutem Einvernehmen, ihre letzten Pints, während die Bounty unterhalb des Pubs vor Anker lag, bereit zur Abreise nach Polynesien.

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Der Pub ist voller trinkfreudiger Gäste, der Wirt hat gut zu tun. Biere gibt es diverse, vor allem englische und irische. Wir bestellen uns Bitter und Guinness. Die Speisekarte ist einfach, Burger und gebackene Camemberts, Pizza, solche Sachen halt. Wir warten lange aufs Essen, der Pub ist ein Familienbetrieb und wie es aussieht, rotiert die Wirtin in der Küche ganz allein, während Vater und Sohn die Bar bedienen. Aber das macht gar nichts, die Atmosphäre ist gemütlich, das Treiben hier zu beobachten macht Spaß. Der Pub selbst ist urig und an den Wänden hängen Bligh-Portraits.

Wir versuchen, uns vorzustellen, wie sie hier gesessen haben, das Schiff draußen auf dem Fluß vor Anker, mit ihren Abschiedsbieren in der Hand, bevor es auf große Fahrt ging.

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Durch den Seitenausgang kommend, steht man direkt in der schmalen Gasse, die zwischen den Gebäuden an den Fluß führt. Zum Wasser hinunter sind es nur ein paar Stufen. Abgesehen von dem Licht, das aus den Fenstern des Pubs fällt und denen vom anderen Themseufer ist es stockfinster (wir haben das fürs Foto mit den Handytaschenlampen ausgeleuchtet :wink: ). Wenn Jack the Ripper irgendwo lauern würde, wäre das genau der richtige Ort dafür.

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Im Sommer herrscht hier auf den Terrassen der Lokale am Fluß vermutlich lustiges Treiben, jetzt sind wir die einzigen, die die leeren Straßen zurück zur U-Bahn entlangmarschieren. Ein bißchen unheimlich ist es schon, aber als gute Englandtouristen haben wir solide Regenschirme dabei, mit denen wir Tunichtgute verprügeln könnten, und sowieso läßt sich niemand blicken.

Zurück durchs nächtliche London.

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Wir genießen nochmal den Blick auf den Big Ben bei Nacht. Die Aussicht vom Hotel aus auf die Brücke mit allem Drumherum ist schon phantastisch. Ab morgen werden wir eine vollkommen veränderte Aussicht haben.

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Ja, nun haben wir den Ort gesehen, an dem die Geschichte der Bounty ihren Anfang nahm. Um den Ort zu sehen, an dem alles endete, müßten wir jetzt nur noch nach Pitcairn. Aber nach allem, was wir recherchiert haben, ist das so zeitaufwändig, das ist wohl eher etwas für das Rentenalter.

Zeitaufwändig gestaltet sich auch die Weiterreise. Am nächsten Tag verlassen wir London. Ein letztes ausgiebiges Frühstück im Westminster Park Plaza, dann zerren wir unsere Koffer zur Waterloo Station, die nur wenige Minuten entfernt liegt, und starten das Abenteuer Dorset.
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von Suse »

Die letzten Tage hatten wir immer Glück, meist war es bewölkt, aber trocken, manchmal, so wie gerade auf der Tower Bridge, kam sogar die Sonne heraus. Aber ausgerechnet jetzt regnet es Bindfäden, während wir unsere Koffer Richtung Waterloo Station ziehen.

Die Fahrt mit der South Western Railway dauert ungefähr zwei Stunden. Auch unterwegs wechseln Sonne und Regen sich ab, zwischendurch prasselt es nur so an die Scheiben, aber gerade als wir den New Forest passieren, ist es trocken und ich sehe im Vorbeifahren sogar ein paar windzerzauste Ponys am Waldrand stehen.

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Unser Ziel heißt Wool, nur wenige Stationen vor der Endstation, zwischen der Kreideküste und den endlosen Heidelandschaften Dorsets gelegen. Es ist so klischeehaft-ländlich, daß man glaubt, gleich käme Rosamunde Pilcher mit dem Farmer aus Shaun das Schaf um die Ecke.

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Zu unserer Unterkunft sind es zu Fuß gut 10 Minuten, immer entlang der Schafweiden. Einen Fußweg neben der Landstraße gibt es nicht und wie jedes Kind haben wir gelernt, auf der Fahrbahnseite entgegen der Fahrtrichtung zu gehen, aber die Autos halten sich nicht daran, die kommen alle aus der falschen Richtung…

Die Leute sind höflich, wie ländliche Engländer so sind, sie fahren langsam und weit ausweichend um uns herum. Die Autos sind dreckig, vor jedem Haus stehen Gummistiefel kopfüber auf Stiefelhaltern und drinnen hängen vermutlich Wachsjacken an der Garderobe.

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Die kleinen Cottages haben niedliche Namen, auch das, in dem wir wohnen: Frome Dale.

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Den Fluß Frome, der hier an Wool vorbeifließt, werde ich morgen noch näher kennenlernen, heute bin ich froh, erstmal in unserem Bed & Breakfast angekommen zu sein.

Deborah heißt unsere Landlady, die ganz genau dem Klischee entspricht. Burschikos und herzlich, flankiert von zwei kontaktfreudigen Bulldoggen, zeigt sie uns unser Zimmer unterm Dach. Es ist groß und gemütlich und in alle Richtungen hat man den Blick über die Schafweiden. Herrlich.

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Weil es, wie der Name schon sagt, in einem Bed & Breakfast kein Abendessen gibt, muß einer von uns nochmal los. Neben einem Fish & Chips-Laden gibt es auch einen chinesischen Takeaway, außerdem zwei große Pubs.

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Ich melde mich freiwillig für den Gang in den Ort, ich bin neugierig, ob Wool hält, was der kurze Blick auf den Ort am Bahnhof versprochen hat, und steuere den Chinaimbiss an.

Die Assoziation mit Shaun das Schaf war nicht von ungefähr, hier leben schon mal Wallace and Gromit-Fans.

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Je weiter man sich dem Ortskern nähert, desto niedlicher wird es.

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Reetgedeckte Cottages mit Rosenspalieren

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und rote Telefonzellen.

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Eine winzige Einkaufspassage im Zentrum wird das d’Urbervilles-Centre genannt und wem das bekannt vorkommt, der hat recht. Thomas Hardy, dessen Grab wir in der Westminster Abbey vor drei Tagen erst gesehen haben, lebte hier in der Nähe, und sein Roman über die arme Tess von den d’Urbervilles ist genau hier angesiedelt. Die Geschichte ist natürlich Fiktion, eine reale Familie d’Urbervilles gibt es nicht und das Einkaufszentrum wurde nach dem Roman benannt.

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Das Essen aus dem Chinaimbiß ist überraschend großartig und danach endet unser erster Tag auf dem platten Land relativ früh, denn morgen müssen wir zeitig raus.
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von Suse »

Um 7 Uhr klingelt der Wecker. Im Frühstücksraum sitzen noch mehr verschlafene Gestalten vor einem üppigen englischen Frühstück, die vermutlich alle genau das selbe vorhaben wie der Mister und deshalb schon um zwanzig vor acht in Bovington sein müssen.

Weil zu unserem Zielort keine Busse fahren und es nur zwei lokale Taxiunternehmen gibt, die nicht zuverlässig seien, fährt Deborah uns höchstpersönlich. Wäre sie nicht so hilfsbereit, hätten wir eine Wanderung von eineinhalb Meilen absolvieren müssen, und das, obwohl wir beide heute sowieso noch einiges an Fußmarsch vor uns haben. Einen kurzen Moment wünsche ich mir da tatsächlich einen Waymo wie in San Francisco, den man einfach ruft, und dann kommt er, ohne irgendwelche Ausreden.

In Bovington angekommen, trennen sich unsere Wege, denn der Mister schließt sich einer Gruppe Militärtechnik-Interessierter zu einer Führung an, und ich habe heute eine Wanderung vor, über die ich selbst erstaunt bin, daß ich sie freiwillig auf mich nehme.

Am Ortsrand die Grundschule. Auf was klettern Kinder, die in einem Panzerregiment aufwachsen? :wink:

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Gleich außerhalb der Bovington Barracks, in denen die Soldaten und Angehörigen des hiesigen Panzerregiments leben, beginnt die Heidelandschaft des Frome Dale. Und durch diese zieht sich ein Wanderweg, der einige Stationen des Lebens des Thomas Edward Lawrence berührt, besser bekannt als Lawrence von Arabien.

https://www.youtube.com/watch?v=vOlRhGEhG7k

Anders als es dem Mister mit Captain Bligh geht, war bei mir kein aktives Interesse an T.E. Lawrence vorhanden, das hat sich eher zufällig ergeben, als ich vor über 20 Jahren auf einer Rucksackreise durch Wales unerwartet vor seinem Geburtshaus stand.

Tremadog, auf der Llyn Peninsula gelegen, ist ein kleiner Ort in einer grandios schönen Umgebung im Snowdownia Nationalpark voller prähistorischer Steinkreise und Schmalspurbahnen, und hätte ich gewußt, daß das Haus unter dem Namen Snowdon Lodge ein Hostel ist, hätte ich sicher gleich dort gebucht.

https://snowdonlodge.co.uk/

Nun habe ich wenig Interesse an Wüsten, und seinen Lebensweg auf der arabischen Halbinsel nachvollziehen zu wollen läge mir fern. Aber hier in Bovington finden sich nicht so ganz zufällig die späteren Stationen seines Lebens. Darunter vielleicht der Ort, an dem er außerhalb der arabischen Wüste glücklichsten war: Clouds Hill.

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Der Wanderweg ist ein Sandpfad, der sich mitten durch das Truppenübungsgebiet der hiesigen Garnison zieht. Man muß diverse Tore öffnen und schließen und einmal passiert es mir auch, daß ich eine ganze Weile an einem Tor aufgehalten werde durch eine vorbeikommende Kompanie Soldaten.

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Bei den höflichen Worten, mit denen sich der Kommandierende bei mir fürs Warten bedankt und eine weiterhin schöne Wanderung wünscht, könnte man denken, die Rekruten seien unterwegs zu einem Teekränzchen, würden sie nicht stattdessen Panzerfäuste schleppen.

Irgendwann hat man das Garnisonsgebiet hinter sich und es geht durch hügeliges Moorland. Die Wegesränder sind mit Farnen überwuchert und dazwischen blüht sogar noch die Heide.

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Das Wetter hält sich gottseidank, aber die Wege sind vom Regen der letzten Tage matschig. An manchen Stellen steht trotz des sandigen Bodens so viel Wasser, daß ich am Feldrand herumbalancieren und mich dabei an kleinen Birken und Sträuchern festhalten muß, um nicht in einen der zahlreichen Bäche zu fallen.

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Irgendwann wird es trockener und der Rest des Weges verläuft durch ein Waldgebiet entlang der Landstraße.

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Bislang ist mir unterwegs kein Mensch begegnet. Es ist totenstill im Wald, die riesigen Eichen sind grün von Moos und auf den Ästen wachsen tatsächlich Tüpfelfarne als Epiphyten. Auch wenn es dies Phänomen auch auf dem europäischen Kontinent geben soll, sehe ich das hier zum ersten Mal in natura und bin begeistert.

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Das ist eben die Kehrseite des englischen Wetters mit seiner regelmäßig hohen Luftfeuchtigkeit, diese Vielfalt an alles überwucherndem Grün, wie es das sonst nur in den Tropen gibt. Hier finden sich temperierte Regenwälder, wie man sie nur in Südamerika oder im Pacific Northwest der USA oder Kanadas findet, abgeschiedene Orte, die durch die Zersiedelung der Landschaft stark bedroht sind und deren Schutzwürdigkeit man eigentlich gerade erst zu erkennen beginnt.

Hier, im Inland, hat die Natur nichts von Rosamunde Pilcher. Das hier ist eine Herr der Ringe-Kulisse, in der man sich Hobbits, Ents und Zauberer vorstellen kann. Wer mal eine gute Viertelstunde in eine solche Traumlandschaft abtauchen möchte, dem empfehle ich diese Doku anzuschauen:

https://www.youtube.com/watch?v=s0IzBjz10ss

Irgendwann ist man heraus aus dem Wald und steht an der Landstraße, die zurück nach Bovington führt. Über eine kleine Steinbrücke noch, und dann steht es da, direkt an der Straße: Clouds Hill.

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Clouds Hill, das winzige, mehrere hundert Jahre alte Cottage, das früher von Waldarbeitern bewohnt wurde, gehörte Thomas Edward Lawrence.
Er entdeckte es bei einer seiner Motorradtouren, kaufte und renovierte es und nutzte es als Rückzugsort für sich und seine Freunde, darunter vor allem die traumatisierten jungen Dichter, deren heute in der Westminster Abbey als Trench Poets gedacht wird, zumeist adlige Freiwillige, die noch glaubten, mit ihrem freiwilligen Einsatz im Ersten Weltkrieg eine bessere Weltordnung zu schaffen, bis sie in den Schützengräben Flanderns eines besseren belehrt wurden.

Die Landstraße war zu Lawrences Zeiten noch eine Sandpiste. Lawrence, der als Offizier in Bovington stationiert war, fuhr die Strecke täglich, bis er eines Morgens auf dem Weg zum Dienst mit dem Motorrad von der Strecke abkam und später an den Unfallfolgen verstarb.

Wer den ganzen Film gesehen hat, wird sich vielleicht an eine der Szenen am Ende erinnern, in der der Unfall dargestellt wird. Das hat sich also nur wenige hundert Meter von dort, wo ich jetzt stehe, abgespielt. An der Stelle steht heute ein Gedenkstein.

https://www.youtube.com/watch?v=GzPr3R3DNoo

Um nicht wie T.E. zu enden, lasse ich den Besuch des Gedenksteins aber ausfallen, die Autos kommen mir mit zu viel Tempo um die Kurven und es gibt keinen Grünstreifen am Straßenrad, auf den man ausweichen könnte.

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Clouds Hill kann ich auch nur von außen besichtigen, denn ausgerechnet freitags ist das Cottage, das heute als Gebäude von historischem Interesse im National Trust aufgenommen ist, geschlossen. Das hat auch seinen Vorteil, zu den Öffnungszeiten soll hier viel los sein, und heute bin ich ganz allein und kann alles in Ruhe von allen Seiten anschauen.

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Das Haus ist klein und schlicht, mir gefällt es sehr, es wirkt gemütlich und vermittelt Geborgenheit, so allein hier mitten im Wald. Es hat nur drei Räume plus ein Badezimmer, alle auf die Bequemlichkeit des Besitzers abgestimmt mit riesigen Bücherregalen und Lesesesseln. Auch sein Buch, Die sieben Säulen der Weisheit, ist hier entstanden. Nebenan steht ein reetgedeckter Schuppen, in dem heute ein kleines Museum eingerichtet ist.

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Um den Rundweg zu vollenden, muß ich noch einmal durch den Zauberwald zurück wieder in die Heide und den Frome in das Dorf Moreton überqueren. Im Sommer ist die Furt wohl eine beliebte Badestelle.

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Die einzigen Menschen die ich heute auf dem Weg nach Moreton treffe, sind Damen fortgeschrittenen Alters in Wachsjacken und Gummistiefeln und mit schlammverkrusteten Spanieln und Collies. So rustikal wie sie aussehen, so wohlhabend sind sie vermutlich auch, das lassen zumindest die gut zementierten Frisuren und die teure Barbour-Kleidung erahnen. Alle sind so freundlich, wie man es von älteren englischen Damen erwartet. Aus dem Alter, von ihnen wie früher mit Dear oder Love angeredet zu werden, bin ich wohl jetzt heraus, aber jede möchte ein paar Worte wechseln, wobei eigentlich jedesmal das Wetter und die schlammigen Wege im Mittelpunkt stehen.

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Die Furt über den Frome überspannt eine niedrige Brücke, bei Hochwasser ist die mit Sicherheit schnell überflutet. Aber wie ich später sehe, durchqueren die meisten den Fluß hier sowieso im Jeep.

In England ist es ja durchaus üblich, auch querfeldein zu wandern, die Zäune überquert man mittels solcher Zauntritte

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Ich bleibe aber auf dem Weg nach Moreton, denn hier liegt er begraben, der T.E. Lawrence.

(Un)heimlicher Beobachter am Waldrand...

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Moreton wirkt wie aus der Zeit gefallen. Dagegen ist Wool direkt eine moderne Kleinstadt.

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Wäre das Wetter schöner, wäre es fast nicht zum Aushalten, so idyllisch ist es hier.

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Am Friedhof von Moreton angekommen, gebe ich mir mit einem Herrn die Klinke in die Hand.

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Na, auch zu Lawrence? fragt er. Ganz genau, sage ich, und dann müssen wir lachen.

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Danach habe ich mir einen Kaffee verdient, und den bekommt man direkt nebenan im Walled Garden von Moreton.

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Die kleine Anlage zu besuchen, eine Mischung aus Park und Botanischem Garten, ist eigentlich kostenlos, es wird aber um Spenden gebeten, die man in eine Honesty Box am Eingang wirft. Das dazugehörige Dovecote-Cafe beschäftigt ausschließlich Mitarbeiter im Rahmen des https://employmyability.org.uk/ -Programms, die mit ziemlich viel Enthusiasmus bei der Sache sind.

Ich bestelle Kaffee und ein Sandwich und schaue mich um. Und wer jetzt schon gehofft hat, daß ich nach dem Friedhof nun endlich mal Ruhe gebe mit dem Lawrence von Arabien, hat leider falsch gehofft, denn einen hab ich noch:

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Dank Tischdecke und Kuchenbuffet ist er gut getarnt und wäre mir wohl entgangen, hätte ich nicht vorher darüber gelesen: Der Katafalk neben dem Bestelltresen ist exakt der, auf dem der Sarg zum Trauergottesdienst in die Kirche von Moreton gefahren wurde. Wie der hier gelandet ist, frage ich lieber nicht.

Als ich den Mister anschließend in Bovington wiedertreffe, habe ich einen Rundweg von über 10 Kilometern vollendet und bin ein bißchen stolz auf mich. So weit bin ich Couchpotatoe seit Nuku Hiva nicht mehr gewandert. :lol:

Heute ist Clouds Hill ein Anziehungspunkt für viele, aber die meisten Touristen kommen nicht seinetwegen in diese Gegend. Daß Bovington, an 360 Tagen im Jahr ein vollkommen verschlafenes Nest, auf der ganzen Welt bekannt ist, liegt gar nicht an Lawrence. Das liegt allein am Tiger.
Wenn du keine Kokosmilch hast, machste einfach normales Wasser.
- Grubi -

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Suse
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von Suse »

Wer sich jetzt fragt, ob etwas, wo ein Tiger drin vorkommt, etwa schon wieder mit Kipling zu tun hat, der hat hat schon irgendwie richtig vermutet. :lol:

Kipling, der Nobelpreisträger, der weder Oxford- noch Cambridge-Absolvent war, sondern seine Schulbildung an der Militärakademie von Westward Ho absolviert hatte, war es, der die Empfehlung aussprach, die im Laufe der Weltkriege in die Hände der Engländer gefallenen Panzer nicht zu zerstören, sondern der Nachwelt als Anschauungsobjekte zu erhalten. Und da Bovington ohnehin ein Panzerregiment war, entstand hier auf seine Initiative ein Panzermuseum. Heute ist es das größte der Welt und zeigt unter dreihundert anderen Modellen einen Tiger 131.

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1943 fiel er den Engländern in Tunesien in die Hände. Er ist der einzige Tiger weltweit, der noch fahrtüchtig ist, und zweimal pro Jahr darf er heraus und sich den Panzerenthusiasten aus aller Welt präsentieren, jeweils einmal im Frühjahr und einmal im Herbst. Und morgen ist Tiger Day Autumn.

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Am nächsten Morgen sind wir nicht mehr auf Deborahs Fahrdienst angewiesen, am Tiger Day fährt ein Shuttlebus nach Bovington.

https://tankmuseum.org/visit-us?gad_sou ... j0QAvD_BwE


Am Tiger Day-Wochenende geht hier in der Gegend nichts mehr. Die Eintrittskarten sind innerhalb weniger Tage ausverkauft, und sobald der Termin für den Tiger Day veröffentlicht wird, sind in dieser hotelarmen Gegend, in der man üblicherweise nur in privat geführten Bed & Breakfasts unterkommt, keine Zimmer mehr zu bekommen.

Die globale Gemeinde der Panzerinteressierten besteht aus allen Altersstufen, darunter überraschend viele Frauen, auch ganze Familien, die mit Kind und Kegel durch das Museum spazieren.

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Die Welt der Panzer ist ja auch tatsächlich keine reine Männerdomäne. :wink:

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Den Vormittag verbringen wir in den Ausstellungen. Die sind umfangreich und bilden beide Weltkriege ab. Besonders die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg, in dem das erste Panzerfahrzeug noch klassischer Kavallerie gegenüberstand, ist ergreifend. Jüngere Kinder, für die der nachgebaute Schützengraben noch keine Bedeutung hatte und die hier noch lachend herumtoben, werden spätestens bei der Gegenüberstellung Pferd gegen Panzer still.

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Alle unterhalten sich im Flüsterton und ich vermute, die stilisierte Darstellung der Pferde hat einen pädagogischen Hintergrund, um es für die Kinder nicht zu drastisch wirken zu lassen.

Berührungsängste gibt es später aber keine, jedenfalls nicht mit dem Klettergerüst

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Am Nachmittag kommt wie bestellt für die Vorführung der fahrenden Panzer die Sonne heraus. Der Mister hat am Vortag eine Behind the scenes-Führung durch die Werkstatt mitgemacht, wobei die Teilnehmer, die zum Teil über den halben Globus angereist waren, ganz nah an die Maschinen herankamen.

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Er erzählt, die 80 Jahre alte Technik sei so komplex und wartungsintensiv, daß niemand garantieren kann, ob er seine Runden auch dieses Jahr wieder drehen wird, und die Museumsmitarbeiter deshalb selbst am aufgeregtesten sind.

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Aber alles geht gut, alle Motoren springen an und laufen, was ja durchaus nicht selbstverständlich ist, und der Tiger kann programmgemäß gefangen genommen werden. :wink:

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Wir lassen den Tag bei Hot Dogs und Crepes ausklingen und gucken uns die anderen Besucher an. Wenn man weiß, wie sehr sich gerade die Engländer bemüht haben, den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu verhindern, ist es überhaupt verblüffend, wie sehr die ja ursprünglich feindliche Technik hier gefeiert wird.

Daß das Publikum auch noch überwiegend aus jüngeren Leuten bestehen würde, erstaunt uns am meisten. Die Faszination schweren Kriegsgeräts, Flugzeugträger, Kampfjets, Panzer. Am Nachbartisch fachsimpeln drei langhaarige britische Jungs im Grunge-Look, die aussehen, als entstammten sie direkt dem Chaos Computer Club. Alle drei tragen Tiger-Tank-Hoodies, auf dem Tisch stapeln sich die gerade im Souvenirshop erworbenen Tiger 131-Modellbausätze. Verrückt.

Bovington lebt von und mit den Panzern und zeigt das auch:

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Wir sind nach einem Wochenende mit Wanderung und Tiger Day rechtschaffen müde. Gottseidank ist heute der Mister mit Essen holen dran, während ich meinen nach zwei draußen in der Kälte verbrachten Tagen komplett durchgefrorenen Knochen eine endlose heiße Dusche gönne, die sich fast besser anfühlt als nach 10 Tagen Aufenthalt auf einer einsamen Tropeninsel.

Dazu noch eine ordentliche Portion Kung Pao Chicken, und ich bin wieder fit für den letzten Tag in Dorset.
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Suse
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von Suse »

Am nächsten Morgen ist dann im Frühstücksraum natürlich wieder der Tiger das Hauptgesprächsthema. Alle, die derzeit hier im Frome Dale wohnen sind, wie wir vermutet haben, aus dem selben Anlaß hier. Unser Tischnachbar ist Kanadier aus British Columbia, dazu zwei Asiaten und ein weiterer Deutscher, die Herren fachsimpeln in zwei Sprachen über das Museum, während ich in Gedanken schon an der Jurassic Coast bin.

Der Mister ist nicht zu überzeugen, den letzten Tag an der Kreideküste zu verbringen, und das Wetter ist zugegebenermaßen auch nicht wirklich toll. Aber als ich dann an der Bushaltestelle stehe, klart es auf, das wird noch!

Die Jurassic Coast mit ihren Kreidefelsformationen sieht bei gutem Wetter einfach am schönsten aus, wenn sie weiß im Sonnenlicht leuchtet. Im Sommer fährt hier ein Bus mit offenem Verdeck einen permanenten Rundkurs, bei dem man an jeder Station aus- und später wieder zusteigen kann oder eben auch einen Teil des Weges zu Fuß zurücklegen kann.

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Der offene Bus, so steht es am Haltestelleschild, hält jetzt Winterschlaf bis April. Das ist so ulkig-britisch, daß ich gleich wieder merke, wie gern ich dieses Volk habe.

Der geschlossene Bus, der statt seiner jetzt die Runde fährt, ist bis auf meine Wenigkeit leer, ich suche mir den Touristenplatz oben vorne und fühle mich wie zuhause in Berlin, nur daß die Aussicht schöner ist.

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Durch kleine Ortschaften voller Cottages und Pubs mit traditionellen Namen geht es, dazwischen Teerstraßen, tief eingeschnittene Hohlwege, gesäumt von Hecken, die sogar an den oberen Fenstern des Busses kratzen. Der Fahrer fährt, wie man eben so fährt, wenn man weiß, daß man der Stärkere ist, und überall ducken sich die entgegenkommenden Autos ins Gebüsch, als wir angebraust kommen.

An der Haltestelle zur Durdle Door steige ich aus und steige den Weg von der Landstraße zur Küste hinunter. Die Sommersaison ist zuende und die Fischbrötchenbuden haben geschlossen, aber es pilgert dennoch einiges Volk hier herum, die Aussicht ist einfach das ganze Jahr spektakulär.

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Der Man o’War Beach, ein perfektes Halbrund

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und gleich daneben der Felsbogen der Durdle Door.

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Die Landmasse am Horizont ist die Isle of Portland, hinter der der Chesil Beach beginnt, der sich parallel zur Küste weit nach Westen zieht. Die Jurassic Cost ist UNESCO Weltnaturerbe und wenn man hier steht, weiß man auch warum.

Draußen auf dem Meer fallen ein paar Sonnenstrahlen aufs Wasser, auf die Küste leider nicht, aber es ist auch so beeindruckend.

Von hier führt eine Teilstrecke des South West Coast Path bis nach Lulworth, dort ist dann auch die nächste Haltestelle des Jurassic Coasters. Bis dahin sind es ungefähr vier Kilometer, nach den 10 vor zwei Tagen schaffe ich das ja wohl locker.

Der South West Coast Path ist Großbritanniens längster Fernwanderweg, der in Lands End in Cornwall beginnt und hier in Dorset endet, oder umgekehrt. Im Sommer sind hier Legionen unterwegs, heute sind es nur wenige, die gegen den Wind stapfen.

Nach Lulworth hinunter führt dann ein gepflasterter Weg mit Treppenstufen, aber es macht Sinn, den Anblick schon von hier oben zu genießen, denn so gut wie von hier aus sieht man die fast kreisrunde Bucht von Lulworth unten nicht mehr.

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Das perfekte Schmugglerversteck, man kann sich richtig vorstellen, wie sie hier ankamen und schwer beladene Ponies dann die Waren ins Inland trugen.

Wie diese runden Buchten entstehen, kann man sich im Jurassic Coast Museum in Lulworth anschauen, der Eintritt ist kostenlos.

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Woher die Küste ihren Namen hat, erfährt man dort auch, und der kommt natürlich nicht von ungefähr.

https://www.youtube.com/watch?v=heQhYBA4uTE

Früher waren hier Legionen von Menschen auf Fossilienjagd unterwegs, nachdem die damals 12jährige Mary Anning Anfang des 19. Jahrhundershier die ersten vollständigen Skelette von Ichthyo- und Plesiosauriern fand. Inzwischen wird das Fossiliensammeln reglementiert, damit nicht mehr jeder Laie mit seinem Hämmerchen an den Kreidefelsen herumklopft.

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Lulworth Cove ist niedlich, aber auch sehr touristisch, der dazugehörige Parkplatz fast größer als der Ort selbst.

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Es wimmelt von reetgedeckten Cottages, Pubs, Souvenirshops voller Süßigkeiten, Marmeladen und dröger Kekse, Eisdielen und Bäckereien mit fettigen Cornish Pasties, die einem wie Steine im Magen liegen.

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Ich sitze ein bißchen an der Bucht und esse ein Eis

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dann gehe ich wieder zurück durch den Ort und warte auf den nächsten Jurassic Coaster, der auf seinem Rundkurs hier vorbeikommt und mich zurück nach Wool bringt.

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Der Wind ist ziemlich kalt, ansonsten bleibt es trocken. Ich war schon mal in den Sommermonaten weiter westlich am Chesil Beach und weiß es zu schätzen, daß es hier jetzt nicht so voll ist. Da nehme ich das bißchen Wind gern in Kauf und freue mich, daß sich trotz des unbeständigen Wetters überhaupt alles so gut realisieren ließ, was wir uns vorgenommen hatten.

Nun müssen wir nur aus der tiefsten englischen Provinz über London zurück nach Hause kommen.
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Suse
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von Suse »

Die Zugfahrt zurück nach London verläuft problemlos. In Waterloo gibt es Abendessen bei Burger King und als Verdauungsspaziergang eine Runde durch die Leake Street Arches unter den Gleisen, in denen man den Künstlern direkt bei der Arbeit zu sehen kann.

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https://www.leakestreetarches.london/

Die letzte Nacht verbringen wir in einem Flughafenhotel nahe des London City Airports, das Luftlinie 150 Meter entfernt liegt, aber so versteckt in einem von auffällig vielen Tauben bevölkerten Wohnviertel, daß wir ewig lange mit unseren Koffern herumirren, bis uns eine nette Dame den Weg zeigt.

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Das Hotel erkennt man auch nicht als solches, da der Name lediglich in die Fensterscheiben geätzt ist, was man von weitem natürlich nicht sehen kann. Ansonsten ist es aber nett und gepflegt und war günstig.

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Der Rückflug gestaltet sich unproblematisch und wir sind im Handumdrehen wieder in Berlin, naja, in Brandenburg.

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Denn anders als in London steht uns jetzt noch die Rückreise in die Stadt bevor. Angesichts der Tatsache, daß wir ausnahmsweise mal mit kleinem Gepäck reisen, nehmen wir mal die S-Bahn. Wir kommen mit anderen Reisenden ins Gespräch, darunter ein Paar aus Potsdam, das uns erzählt, daß die Anreise zum BER sie 120 Euro fürs Taxi kosten würde. Alle fluchen und schimpfen über das Gedrängel, das hinderliche Gepäck, für das es keine Abstellmöglichkeiten gibt, und wir wollen sofort zurück zum LCY. Oder noch besser: Tegel zurück haben.

Rückblickend sagt auch der Mister, er sei so angetan von England, der Idylle und der Herzlichkeit seiner Bewohner, daß sich weitere Besuche auf der Insel anschließen werden, schon allein um in London noch ein bißchen allgemeines Pflichtprogramm wie Buckingham Palace und Horse Guards zu absolvieren. Für mich geht England sowieso immer!

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Da wir uns ja vorgenommen haben, die schwieriger zu erreichenden Reiseziele zu besuchen, bevor wir zu alt dazu sind, kann es zwar sein, daß wir eher auf Pitcairn landen als erneut in England, aber daß wir wiederkommen und wo wir dann wohnen wollen, steht schon fest: Bei Captain Bligh in Lambeth!

https://www.youtube.com/watch?v=eOMro8HCxgY

England war wunderschön, wäre es zu unserem Reisezeitpunkt so schön und warm gewesen, wie es später im Oktober nochmals wurde, wäre es fast schon zu kitschig-idyllisch gewesen in Dorset. Herrliche Landschaften, die wieder ganz anders sind als das Rosamunde-Pilcher-Cornwall, das man meist vor Augen hat, wenn man an Südengland denkt.

Damit wäre die letzte kurze Reise 2024 nochmals im Geiste durchlebt und erzählt und ich habe jetzt auch richtig Lust, die Reiseplanung 2026 zu beginnen.

Man liest sich! :bounce:
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zzzt
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Re: Mit Käptn Bligh an die Kreideküste - England im Herbst 2024

Beitrag von zzzt »

Vielen lieben Dank für den Bericht. Es hat mich sehr gefreut diesen zu lesen.
Grüße aus Unterfranken
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