So, da isser, mein damaliger - ursprünglich nur für mich selbst geschriebener - Reisebericht. 25.05. bis 30.05.1992. Ich habe ihn "entschärft". Er ist zwar immer noch sehr persönlich, aber da stehe ich zu. Kann ich ab. ....
Äh, nein, aus "Gitta" wurde nicht Mrs. Seybrew.
Mrs. Seybrew habe ich dann Ende 92 kennen gelernt.
Mo. 25.05.92
Ich bin auf dem Weg nach Paris, sitze im Zug; noch eineinviertel Stunden, bis mich Virginie in Paris Est vom Bahnhof abholen wird. Sehr wichtig sind mir diese sechs Tage in Paris. Ich möchte abtauchen, eintauchen in eine andere Welt. Deutschland und die Arbeit gehen mir auf die Nerven. Ich bin sehr guter Dinge; wenn auch in diesem Großraumwagen die Klimaanlage nicht funktioniert, und es mächtig stickig ist. Gut geht es mir vor allem auch deshalb, weil meine letzten Tage sehr schön verlaufen sind. Letzten Donnerstag, beim Zusammensein mit Gitta, […].
Von Donnerstag Abend bis Sonntag Morgen war ich fast ununterbrochen mit Helmut und Jutta zusammen. Es war ihre Hochzeit. Freitag Standesamt, Samstag dann kirchliche Trauung, und ab Nachmittag das große Fest. Ich habe mich sehr gut mit vielen der Gäste unterhalten, gute Stimmung. [...] Und jetzt freue ich mich auf Paris.
Di. 26.05.92
Ich sitze in einem Straßencafé am Ausgang der Rue St. Denis, Nähe Centre Beaubourg. Mini ist in, in Paris, und es scheint, dass der Mai mit seinem schönen Wetter all die flotten Pariserinnen auf die Straße gelockt hat. Man kann sich ordentlich satt sehen. Und was für schöne Beine diese Pariserinnen haben!
Tja, Paris im Mai ist mehr als Paris im Rest des Jahres eine Stadt für Verliebte. Und ich wäre jetzt gerne mit Gitta hier. Aber das soll ja nun mal nicht sein. So muß ich mich eben an anderen Anblicken laben. Obwohl, sowohl Männlein als auch Weiblein hier machen ja auf äußerst cool. Zu cool für meinen Geschmack. Aber wo gibt es sonst so viele eigenwillige und interessante Menschen zu sehen wie in dieser interessanten Stadt?! Wo sonst sitzen so viele Nationalitäten auf einem Fleck? Aber in dieser Stadt wimmelt es nur so von Machotypen, blasiert, aufgesetzte Masken, auf Show machend. Und auch viele der Frauen wirken blasiert, arrogant. Viel Kaputtheit ist hier angesammelt und aufgestaut. Nun ja, aber das würde für mich erst dann zu einem Problem, wenn ich hier mal wohnen müsste, und das will ich eigentlich nicht. In Paris ist noch der Macho heimisch, und die Pariserin wünscht sich den Macho.
Wie dem auch sei, ich sitze hier bei schönem aber schwülem Wetter vor einem halben Liter Bier und lasse es mir gut gehen. Ich habe allerdings heute auch schon 2,5 Stunden Fußmarsch hinter mir. Bin morgens durch Jason und Inès geweckt worden. Die beiden haben sich ganz prächtig entwickelt und haben mich sofort wieder mächtig in ihr Herz geschlossen. Sind sehr kuschelig, anschmiegsam und sie lieben es, von mir vorgelesen zu bekommen. Habe dann kurz mit Virginie gefrühstückt, sind in einen Kopierladen, wo sie was zwecks Werbung für ihr Filmstudio zu erledigen hatte. Dann haben wir noch in einem Straßencafé einen Kaffee und einen Pastis getrunken. Und dann bin ich losgezogen; über Montmartre hierher. Es ist aber fast etwas zu warm zum Laufen.
Gestern hat mich Virginie vom Bahnhof abgeholt. Sie erschien mir ziemlich gehetzt, na, und sie ist es auch. Sie erinnert mich etwas an die Nizza-Zeit. Ständig kurz vor dem Breakdown. Wir sind zu Fuß ins 17. gelaufen, zwischendurch haben wir irgendwo ein Bier und einen Pastis getrunken, dann die Kinder (Mathilde und Adriana) von Antoinette abgeholt, dann Jason und Inès. Zu Virginie. Antoinette kam auch kurz. Gegessen. Dann Roger zum Bahnhof Austerlitz gebracht, zusammen mit Fred. Vorher kurz mit Patou telefoniert. Dann kurz bei Fred gewesen; nette Wohnung. Anschließend, es war schon 23.15 Uhr, noch zu Antoinette, die einen Alain zu Besuch hatte. Langsam ging mir dann jedoch die Energie aus. Echte Pariser und Virginie-Hektik. Nicht schlecht geschlafen.
Et Paris bouge. Was für eine quirlige Stadt. Der Wahn. Und ich will heute noch zum Père Lachaise laufen. Viel Spaß bei dieser drückenden Hitze. Es ist jetzt 15 Uhr.
Es ist 16.30 Uhr. Ich bin im Cimetière Père Lachaise angekommen, nach einer recht langsamen und durch die drückende Hitze etwas beschwerlichen Wanderung. Jetzt war ich schon so oft in Paris, und der Père Lachaise stand schon so lange auf meinem Programm; doch erst heute bin ich zum ersten Mal hier. Gefällt mir gut; sehr grün, sehr ruhig. Und es ist sehr interessant, die doch sehr vielen Möglichkeiten der Gestaltung eines Grabmals zu sehen.
Ich bin vorhin durch das Marais gelaufen. Ist ein sehr altes Viertel, wirkt etwas heruntergekommen, obwohl viel renoviert wird. Tolle alte Läden, viele Ateliers, Galerien. Und dann bin ich ab der Place de la Bastille mit ihrem neuen Musentempel durch Viertel gekommen, die ich noch gar nicht kannte. Nicht sehr aufregend, aber dort sind zumindest die Leute nicht so blasiert wie im Zentrum.
20.30Uhr. Ich sitze in einem Straßencafé an der Avenue de Clichy. Bin etwas ärgerlich, weil mich Virginie versetzt hat. Ab 18 Uhr sei sie zu Hause. Habe von 19.30 Uhr bis 20.15 Uhr im Treppenhaus gesessen. Keine Virginie.
Ich würde mal annehmen, dass es in keiner anderen europäischen Stadt so viele Harleys und Austin Minis gibt wie in Paris. Und fast jedes Auto hat seine Delle. Au moins une. Ich spüre irgendwie, dass mich diese Stadt aussaugt, durch ihre Hektik. Es ist laut, immer ist alles in Bewegung. Keiner nimmt sich Zeit, selbst wenn er es könnte. Die Leute stürzen in den Bistros ihre Kaffees oder was auch immer runter. Keiner nimmt sich Zeit. Dabei könnten sie doch eigentlich. Aber diese Stadt hat teufelskreisartig eine Wahnsinns-Eigendynamik entwickelt. Und der kann man sich wohl nur schwerlich entziehen. Auch mir fällt das schwer. Eigentlich bin ich immer froh, nach ein paar hier verbrachten Tagen wieder in meinen Heimathafen zurückkehren zu können.
Mi. 27.05.92
Ich liebe Paris. Es ist eine unwahrscheinlich lebendige Stadt. Nur, wie schon gesagt, hier wohnen muß ich nicht unbedingt. Es ist 15 Uhr, bis auf einen kleinen Aufenthalt heute Morgen in einem Bistro, habe ich mich nicht aus der Wohnung bewegt. War die meiste Zeit alleine, Virginie hatte den Vormittag über Motorradfahrunterricht; das letzte Mal übrigens, am Freitag hat sie die Prüfung. Bei der aber die meisten beim ersten Mal durchfallen. Habe mir Kaffee gemacht, Baguette mit Marmelade, habe Zeitung gelesen, Haare gewaschen, Gitta angerufen. Habe etwas Ruhe in mein Leben gebracht, nach den etwas aufreibenden vergangenen zwei Tagen.
Gerade sitze ich auf dem schmalen Balkon vor „meinem“ Zimmer. Er ist gerade mal um die 60cm breit. Ich sitze auf einem Fenstersims, über den Dächern von Paris. Die de la T[…] wohnen im fünften Stock. Blick auf Sacré Coeur inbegriffen. Anregend ist es. Hier könnte ich zum Schriftsteller werden. Es ist schon eine interessante Welt, die mir hier zu Füßen und gegenüber liegt.
Ich habe gestern noch Patricia Le L[…] erreicht. Wir treffen uns heute Abend am Grand Palais und werden dann die Ausstellung Henri de Toulouse Lautrec besuchen. Patricia sagte mir, dass sie die letzten beiden Karten für den Mittwoch erwischt hat; läuft ja über Reservierung.
Und Gitta, mit der ich heute Morgen telefoniert habe, sagte, sie hätte sich schon erkundigt, ob man in Strasbourg auch deutsch spräche. Ja, tut man; nur selbst wenn es mit meinem Job in Strasbourg beim „Europäischen Rat“ klappen sollte, ob sie sich dann je dazu durchringen könnte, mit mir zu leben? Und wenn ja, ob sie in Strasbourg glücklich werden kann? Das steht nun wirklich in den Sternen. Alles ist sehr unklar. Und sehr unklar sind die Entscheidungsleistungen, zu denen Gitta fähig ist. On verra.
Ich habe mir den ersten Pastis des Tages genehmigt. Olala, wie geht es mir gut. Ich genieße den Aufenthalt. Es gibt auch keine Streitereien mit Virginie. Aber sie ist ziemlich fertig mit den Nerven. Das fällt nicht auf mich zurück, aber auf Emile und die Kinder, die übrigens wirklich sehr süß sind. Die drei werden des Öfteren doch sehr übel angeschrieen. Tja, Virginie war noch nie eine einfache Frau. […]
Gestern Abend hat mich Virginie noch zum Essen zu Cornélie eingeladen. Gutes Essen, guter Wein. Zufällig war auch Joel da, ehemaliger Lover von Virginie, den ich schon vor zwei, drei oder vier Jahren mal kennen gelernt habe. Ein interessanter wenn auch gefährlicher Mensch.
Wann habe ich eigentlich Patricia Le L[…] das letzte Mal gesehen? Ist auch schon gut zwei, drei Jahre her. Mal sehen, wie sie ausschaut. Die Arbeit und die damit verbundene Verantwortung werden sie reifer gemacht haben. Bin gespannt. Schade, dass ich ihren Freund Serge nicht kennen lernen kann. Er fährt in ein verlängertes Wochenende.
16.25 Uhr
„Jeder Mensch ist schön, wenn man es versteht, ihn zu betrachten“. So, übersetzt aus dem Französischen, habe ich es während der Zugfahrt gelesen. […]
Ansonsten stelle ich fest: ich bin gerade dabei, härter zu werden, konkreter, was meine Ansprüche und meine Sicht der Dinge betrifft. So gestern Abend. Joel: kommt doch rüber zu uns an den Tisch. Virginie: ca dépend de Jürgen. Ich: on reste ici. C’est pas contre vous, mais j’ai envie de rester ici. Voilà. Ich sage vermehrt, was ich will, nehme weniger Rücksicht. […]
Fr. 29.05.92
Gestern habe ich nichts notiert. Pas de temps. Jetzt sitze ich im Parc Monceau, zum ersten Mal. Ihn kannte ich bis jetzt auch noch nicht. Gerade lässt sich nicht weit von mir entfernt ein Hochzeitspaar fotografieren. Der Park lädt dazu ein. Er ist malerisch, mit vielen romantischen Elementen. Heute ist ein eher regnerischer Tag. Ich bin bis kurz vor 12 Uhr zu Hause geblieben. Habe geduscht, Haare gewaschen, bißchen Zeitung gelesen. Ich bin im Augenblick nicht schlecht über die französische Politik informiert. Ich habe mit Virginie ausgemacht, mich mit ihr um 15 Uhr am Gare Saint Lazare zu treffen. Im Augenblick ist es 13 Uhr. Bin dann losgelaufen, in eben diese Richtung. Mit dem Wunsch, sowohl den Parc Monceau als auch die Alexander Newsky Kirche zu sehen. Das erste geschieht gerade und macht mir viel Freude.
Ich habe mir eine Flasche günstigen aber sehr guten Porto gekauft, die ich gerade niedermache. Ich möchte den letzten Tag in Paris leicht angetrunken erleben. Die meisten der Frauen in Paris verstrahlen viel Erotik. Wunderschön, sie zu erleben. Trotz alledem, Gitta fehlt mir, mit ihr wäre Paris doppelt schön. Ja, ich habe Sehnsucht nach ihr. Und deshalb habe ich sie heute Morgen auch ein zweites Mal angerufen. Und deshalb freue ich mich, morgen nach Deutschland zurückzufahren. Ansonsten, il faut bien le dire, reizt mich nicht viel an diesem Land.
Aber gerade jetzt lasse ich es mir unwahrscheinlich gut gehen. Tauche ein in die Stadt, in die Atmosphäre, in die französische Mentalität. Fühle mich wirklich eins. Auch durch die Flasche Porto, die ich gekauft habe, und an der ich hin und wieder nippe. Oh, wie das Leben schön sein kann, oder anders: wie es schön ist, wenn man nur versteht, es sich schön zu machen. Und im Augenblick verstehe ich es sehr, Gutes mir schön zu machen. Genau so wie all die Sekretärinnen oder Angestellten, die die Mittagszeit bei einem Sandwich und etwas Zeitungslesen in diesem Park verbringen. La vie est belle. Und vorhin, die tolle Frau mit dem wunderschönen Gang und den wunderschön schlanken Beinen. […].
Und ich muß im Augenblick sehr aufpassen, dass ich mir keinen antrinke vor Glück, sondern nur leicht alkoholisiert bleibe. Ich hoffe, dass Helmut und Jutta der Film gefällt, den ich von ihnen gedreht habe, lors de leur mariage.
Gestern bin ich bis 13 Uhr zu Hause geblieben. Habe mich etwas mit den Kindern, mit Virginie, mit Emile unterhalten. Mit Emile vor allem über die Philosophie der Arbeit, ob selbständig oder in einem Unternehmen, und über seine Vorfahren, da er am Tag zuvor einen Genealogen aufgesucht hatte.
Dann bin ich zu Patricia gefahren, mit der Metro, und wir sind anschließend zum Musée Rodin gelaufen. Leider hatten wir im Musée Rodin nur noch eine halbe Stunde Zeit. Sehr schade, da es mir um einiges besser als die Ausstellung Toulouse-Lautrec gefallen hat.
Neben mir, auf der Nachbarbank, hält sich ein sehr nettes, verliebtes Pärchen auf, lieb, und sympathisch anzusehen. La vraie vie, quoi. Im Augenblick fühle ich mich eins mit der Welt, mit der Weltseele. […].
Nach der gestrigen Ausstellung bin ich mit Patricia zum Eiffelturm gelaufen und dann mit der U-Bahn zu ihr nach Hause gefahren. Dann kam kurze Zeit später ihr Bruder Marc, bißchen unterhalten, recht sympathisch, aber noch jung. Virginie rief an, kam kurz, nachdem wir angefangen hatten, was zu essen. Auch gut unterhalten. Um 23 Uhr mit ihr nach Hause gefahren. Schön.
Und jetzt muß ich dringend aufs Klo und darf erst mal nicht mehr weiter trinken.
15.05 Uhr am Gare Saint Lazare.
[…].
Doch dann, gerade in jenem Augenblick, kam Virginie. Sie hat ihren Motorrad-Führerschein, das ist toll. Sind dann in die Galeries Lafayette, haben Diverses eingekauft, dann noch etwas zum futtern. Dann haben wir uns verloren. Habe eine Weile nach Virginie gesucht und bin dann zur Madeleine und zur Place de la Concorde an die Seine gefahren. Hier sitze ich nun im Gegenlicht der Sonne und lasse es mir gut gehen.
Sa. 30.05.92
Es ist 9.30 Uhr. Ich sitze im EC nach Stuttgart. Bin um 7.52 Uhr in Paris losgefahren, nachdem mich Emile zum Bahnhof gebracht hat. Virginie ging es nicht gut. Wenig geschlafen, diese Nacht. Gestern Abend waren wir noch alle zusammen, einschließlich Valery C…, bei Patou T… und ihrem Freund Christian zum Essen eingeladen. Nachdem wir erst um 21.30 Uhr dort ankamen, hat die Sache entsprechend lange gedauert. Um 2 Uhr war ich schließlich im Bett. Gut unterhalten, vor allem mit Valéry und Patou. Die beiden hatte ich das letzte Mal Juni 91 gesehen. Aber was habe ich gestern nicht alles an Alkohol verputzt! Na, das hat jetzt wieder ein Ende. Ich muß mich wieder entgiften.